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> Personalmangel in Hessens Kitas: Erste Gruppen müssen schließen
06.05.2022, 13:57 Uhr
Personalmangel in Hessens Kitas -
Erste Gruppen müssen schließen
© dpa/Symbolbild
In immer mehr hessischen Kitas fehlen Erzieher.
Hessens Kitas geraten immer weiter unter Druck. Tausende Erzieherinnen und Erzieher fehlen landesweit. In Reinhardshagen in Nordhessen wird im August eine Kitagruppe deswegen schließen müssen.
Gute-Kita-Gesetz sorgt für zusätzlichen Personaldruck
Um die Bedingungen des Gute-Kita-Gesetzes zu erfüllen, müssen bis August weitere Erzieher und Erzieherinnen eingestellt werden. Doch der Markt ist leergefegt. Dabei sind bislang kaum ukrainische Kita-Kinder bei uns in den Kitas zu finden. Sie werden bislang in Spielkreisen untergebracht. Müssen die Mütter oder Eltern aber in Deutschland bleiben, haben auch diese Kinder einen Anspruch auf einen Kitaplatz. Das ganze Frühjahr protestieren Kita-Beschäftigte zusammen mit der Gewerkschaft verdi deswegen bereits in Hessen.
Erzieherin: "In der Praxis geht das nicht."
Jutta Peppler, Erzieherin in Grünberg in der Kita Sternschnuppe, am FFH-Mikro.
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Wir machen Ausbildungen, wir machen Zusatzausbildungen, wir machen Fortbildungen zum Thema, was wir den Kindern noch bieten sollten in dieser Zeit. Kinder sollen resilient werden und sollen den ganzen Widrigkeiten des Lebens gewappnet sein. Und wir haben Ideen, was wir den Kindern machen könnten, aber wir können es letztendlich nicht umsetzen. Wir haben weder die räumliche Ausstattung oft, oder auch Personal eben. Es ist also oft auch so, dass die Kolleginnen mit einem unguten Gefühl nach Hause gehen, weil sie wissen, sie haben eigentlich das nicht bieten können, was sie gerne machen würden.
Erzieher: "Immer mehr Kinder brauchen Einzelunterstützung."
Sascha Höfer, Erzieher in der Burdwaldkita in Unterrosphe, am FFH-Mikro.
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Ich meine, wir reden davon, dass wir mit Menschen arbeiten. Wir arbeiten nicht mit berechenbaren Maschinen. Da jede Woche sich auch neu drauf anzustellen, das ist, glaube ich, was, was oft unterschätzt wird. Wir wollen jedes Kind da abholen, wo es steht. Und das ist bei einer Gruppenzahl von 25 Kindern fast nicht möglich. Es brauchen immer mehr Kinder, Einzelbetreuung und dem kann man einfach nicht gerecht werden. Wir haben schon die Bekanntmachung bekommen, dass unsere Gruppen dann nochmal auf bis zu 27 Kindern ausgedehnt werden. Wir reden da von schwer traumatisierten Kindern, wo uns auch wieder keine Unterstützung zuteil wird. Das war schon beim letzten Mal so, als die letzte Flüchtlingskrise war. Da wurden die Kinder dann auch einfach in die Kitas gebracht und es hat niemand geguckt, wie können wir die denn adäquat betreuen. Ich bin ja noch relativ jung. Aber es gibt diese Momente, wo du dir echt denkst, boah, schaffe ich das jetzt echt noch die nächsten 30 Jahre in diesem Job zu bleiben, wenn die Arbeitsbedingungen so bleiben, wie sie sind.
82 zusätzliche Erzieherstellen in Gießen bis August
In Gießen sind derzeit zum Beispiel 57 ukrainische Kinder zwischen null und sechs Jahren registriert. Nur drei von ihnen sind bislang offiziell in einer Kita gebracht. Die Gießener Sozialdezernentin Gerda Weigel-Greilich sagt im FFH-Gespräch: "Viele ukrainische Mütter wollen noch keine Kita-Betreuung, sie wollen mit ihren Kindern zusammen sein und hoffen auf eine Rückkehr in ihr Land. Deshalb bringen wir sie derzeit in gemeinsamen Spielkreisen unter."
Das kann sich aber schnell ändern, wenn die Flüchtlinge die Rückkehrperspektive verlieren oder weitere ukrainische Flüchtlingsfamilien zu uns kommen. "Dann," so Weigel-Greilich, "würde selbst Gießen an die Betreuungsgrenzen stoßen, obwohl wir eigentlich derzeit gut aufgestellt sind."
"Mitarbeiter aus anderen Berufen zum Wechsel bewegen"
Für besonderen Personaldruck sorgt derzeit das Gute-Kita-Gesetz auf einem ohnehin leergefegten Facharbeitermarkt. In Gießen müssen zum Beispiel 82 zusätzliche Erzieher-Stellen geschaffen werden, um die Bedingungen des Gesetzes an Betreuung und Pädagogik zu erfüllen. Sonst würden auch die mit dem Gesetz verbundenen Gelder nicht fließen.
Die mittelhessische Unistadt hat bereits in den städtischen Kitas überall Stellen von Alltagsbegleitern geschaffen. "Sie sind weniger qualifiziert als Erzieher, nehmen diesen aber viel Arbeit ab. Wir machen die Erfahrung, dass zum Beispiel Beschäftigte aus der Gastronomie gerne auf solche Stellen wechseln." In Gießen fehlen derzeit rechnerisch rund 380 Kitaplätze. Damit, so die Sozialdezernentin, stünde Gießen noch gut da.
Jugenddezernentin: "bislang nur wenige ukrainische Kinder in den Kitas".
Gießens Jugenddezernentin Gerda Weigel-Greilich am FFH-Mikro.
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Ja, es ist so, dass es natürlich auch traumatische Erlebnisse zu verarbeiten sind. Und wir festgestellt haben, dass die Mütter lieber mit ihren Kindern zusammenbleiben. Und da haben wir auch reagiert und niedrigschwellige Angebote bereitgestellt, wo man zusammen sich treffen kann, wo es auch zwar eine Betreuung gibt, wo aber kein Ganztags-Kita-Platz ohne die jeweiligen Mütter bzw. Erziehungsberechtigten ist.
Jugenddezernentin: "In Giessen sind wir gut aufgestellt".
Gießens Jugenddezernentin Gerda Weigel-Greilich am FFH-Mikro.
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Ja, ich glaube, wir sind hier in Gießen noch ganz gut aufgestellt. Natürlich haben wir auch Probleme, Erzieherinnen zu finden. Aber so wie es im Moment aussieht, wird es uns bis August gelingen. Wir brauchen insgesamt 82 Erzieherinnen für die Gesamtstadt, um ein gutes Kita-Gesetz umzusetzen. Wir hatten vorher auch schon eine Qualitätsverbesserung mit alltagsunterstützenden Diensten. Hier in der Stadt Gießen gibt es sowohl für die freien Träger wie auch die städtischen Kitas pro Gruppe 0,25 alltagsunterstützende Dienste. Das verbessert die Arbeitsbedingungen sehr für die Erzieherinnen. Deswegen glaube ich, dass wir ganz gut durchgekommen sind. Gerade jetzt die jungen Menschen, man kann es ihnen auch nicht verdenken, schauen auch sehr stark nach den Arbeitsbedingungen. Kommunen, die da besser aufgestellt sind, werden bessere Chancen haben.
© dpa/Symbolbild
Ab August gilt das Gute-Kita-Gesetz - Kitas müssen dafür Personal einstellen
Dramatische Personalsituation in Reinhardshagen
Wegen Personalmangels muss die Gemeinde Reinhardshagen im Kreis Kassel voraussichtlich jetzt sogar eine Einrichtung für 20 Kinder komplett schließen. Grund sei der mit dem "Gute-Kita-Gesetz" geforderte höhere Fachkräfteanteil ab dem 1. August, sagt Bürgermeister Fred Dettmar im FFH-Gespräch. Sieben Erzieherinnen fallen derzeit wegen Elternzeit oder Krankheit länger aus. "Es ist jetzt Zeit, auch an das bestehende Personal zu denken, sonst habe ich die Befürchtung, dass ich dieses Personal verbrenne - und das kann ich nicht tun, so leid es mir für die Eltern tut."
Kindergarten Märchenland wurde erst vor einem Jahr gegründet
Der Kindergarten "Märchenland" wurde erst vor einem Jahr neu gegründet - im Neubaugebiet -muss jetzt schon wieder schließen. Kinder, die schon in der Kita sind, können zwar in anderen Einrichtungen weiter betreut werden. Aber freiwerdende Plätze - die werden bald noch mehr begehrt sein. "Kitas sind das wichtigste Thema einer Kommune, wenn sie wachsen will", sagt Dettmar. "Wir haben Neubaugebiete - da ziehen nun mal junge Familien mit Kindern ein."
Bürgermeister fühlt sich machtlos
Dettmar fühlt sich aber größtenteils machtlos: "Der Konkurrenzkampf um Fachkräfte tobt." Der Bürgermeister hofft, dass bald mehr Personal auf dem Markt ist - vor allem durch einen neuen Ausbildungsweg: die praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher (PiA). Die dauert nur drei Jahre und wird vergütet. Bislang dauerte die klassische deutlich länger und wurde auch größtenteils nicht bezahlt.
Bürgermeister: ""Das Thema Kita ist mit das wichtigste für mich als Bürgermeister".
Fred Dettmar, Bürgermeister von Reinhardshagen, am FFH-Mikro.
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Es ist sicherlich das Thema mit der Priorität 1a und beschäftigt mich heftig. Und zwar nicht nur als Bürgermeister, rein sachlich in der Funktion, als Verwaltungschef in der Kommune, sondern auch als Mensch, der Leuten vielleicht wehtun muss, indem er die Kinder nicht in den Kindergarten holen kann, weil ihm einfach das Fachkräftepersonal fehlt.
Bürgermeister: "Dürfen das Personal auch nicht verbrennen".
Fred Dettmar, Bürgermeister von Reinhardshagen, am FFH-Mikro.
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Wir haben vier Muttis, die im Erziehungsurlaub oder in Schwangerschaft sind und wir haben drei Dauerkranke, das heißt sieben Leute fehlen bei uns dauerhaft. Und jetzt ist es auch mal an der Zeit, an das bestehende Personal zu denken und nicht noch immer mehr und noch immer mehr. Sonst habe ich die Angst oder die Befürchtung, dass ich dieses Personal, was ich noch habe, was ich nach wie vor einsetze, auch noch verbrenne. Und das kann nicht Sinn und Zweck der Angelegenheit sein. So leid wie mir das um die Eltern tut.
Bad Hersfeld stellt Dauerausschreibung auf die Homepage
In vielen hessischen Kommunen ist die personelle Lage in den Kitas angespannt. In Bad Hersfeld mussten - auch wegen Corona - Kitas teilweise in den Notbetrieb gehen oder Öffnungszeiten einschränken, sagt uns Jutta Hendler von der Stadt Bad Hersfeld. Manchmal sei die Kita nur für Kinder, deren Eltern arbeiten, geöffnet gewesen. Auf der Homepage der Stadt gebe es eine Dauerausschreibung.
Alsfeld eröffnet neue Gruppen im Juni
Alsfeld im Vogelsberg dagegen nimmt für sich in Anspruch, frühzeitig reagiert zu haben. Im Juni wird dort eine neue Kindertagesstätte eröffnet, diese habe sechs Gruppen, eine mehr als bisher, so die Stadt. Doch auch das reiche nicht für Alsfeld: Der Um- bzw. Ausbau der nächsten Kita mit weiteren zusätzlichen Gruppen sei bereits in Planung. Auch in Hessisch Lichtenau wird demnächst eine neue Kita für fünf Gruppen an den Start gehen
Jutta Hendler von der Stadt Bad Hersfeld
"Wir haben derzeit 12 freie Stellen. Das liegt an der Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes"
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Momentan haben wir circa zwölf freie Stellen. Das liegt aber auch daran, dass wir das gute Kita-Gesetz umsetzen möchten und müssen, um auch eine entsprechende Förderung zu bekommen. Das bedeutet, dass wir einen höheren Fachkräfteschlüssel haben. Den müssen wir auch besetzen und deswegen ist der Bedarf jetzt auch noch größer geworden, trotz des Fachkräftemangels.
Jutta Hendler von der Stadt Bad Hersfeld
"Die Eltern merken die Auswirkung, wenn Öffnungszeiten reduziert werden."
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Die Eltern merken das daran, dass wir häufig auch Notdienste haben. Das hängt natürlich auch mit Corona zusammen, dass Einrichtungen früher geschlossen werden müssen, dass es einen Notdienst gibt nur für Berufstätige beispielsweise und dass eben dann Eltern ihre Kinder früher abholen müssen.
© FFH
Auf dem Berliner Platz in Gießen protestieren die Erzieher
Kassel sucht Erzieher, die ukrainisch sprechen
Die Stadt Kassel versucht derzeit ausländische Fachkräfte in Erzieherberufe zu bringen und entwickelt hierfür Modelle. Außerdem seien derzeit besonders Erzieher, die ukrainisch sprechen, gesucht. Schon bis Ende März seien in Kassel 240 geflüchtete ukrainische Kinder in der Altersgruppe der Null- bis Sechsjährigen registriert worden. Doch die wenigsten würden bislang in städtischen Kitas betreut. „Aufgrund der derzeit noch unklaren Lage, auch bezüglich der Aufenthaltsdauer der Menschen, werden wir flexible Angebote bei der Betreuung der Jüngsten schaffen“, sagt Oberbürgermeister Christian Geselle. Der Fokus liegt zunächst auf der zentralen Betreuung, zum Beispiel in den Gemeinschaftsunterkünften.
Junge Erzieher flüchten aus dem Beruf
Die Gewerkschaft Verdi beklagt eine zunehmende Flucht aus dem Erzieherberuf. Das hänge mit Überlastung, zu wenig Wertschätzung und zu geringen Verdiensten zusammen. Besonders bitter stößt es der Gewerkschaft auf, dass viele junge Erzieherinnen und Erzieher schon nach wenigen Jahren aus dem Beruf fliehen. "Wir befürchten hier eine Entwicklung wie beim Pflegepersonal," sagt Holger Simon zu FFH. Auf Protestkundgebungen überall in Hessen berichten Erzieher über ihren Arbeitsalltag und den Personalmangel. Verdi hat deshalb nun angekündigt, hessenweit in allen Kitas die Situation zu erheben und öffentlich zu machen.
Verdi: "Immer mehr junge Erzieher fliehen aus dem Beruf".
Julius Drusenbaum von der Gewerkschaft verdi im FFH-Gespräch.
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Wir wollen eine höhere Eingruppierung, also eine bessere Bewertung. Wir wollen verbesserte Aufstiegsmöglichkeiten. Wir wollen eine Entlastung, eine dringende Entlastung. Das heißt, dass Vorbereitungszeiten, Nachbereitungszeiten, die diese Berufe mit sich bringen, dass die auch künftig in die Arbeitszeit mit eingerechnet werden. Weil nur so kriege ich auch wirklich eine Entlastung, wenn die Arbeit, die die Kolleginnen und Kollegen haben, wirklich abgebildet wird. Es ist voll in den Kitas, es gibt viele offene Stellen. Und nach der Corona-Pandemie gilt es jetzt noch, viele ukrainische Geflüchtete Kinder zu integrieren. Geht das? Also ich würde sagen, ja, es geht. Es muss gehen. Aber das Land muss dabei die Bedingungen setzen. Und die Bedingungen ist nicht zu sagen, überlastete Kolleginnen und Kollegen werden jetzt noch mehr belastet, sondern genau das Gegenteil ist. Die brauchen jetzt jede Unterstützung, die brauchen Entlastung, damit sie ihre Arbeit gut machen können. Bei Erzieherinnen und Erziehern ist es aktuell schon so, nach der Ausbildung sind fünf Jahre später, arbeiten 50 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr in diesem Beruf. Die sind weg. Was die machen, wissen wir nicht. Ob die irgendwo an der Kasse stehen oder zu Hause bleiben, aber die sind weg. Insofern ist aber dieses Argument, wir haben halt nicht mehr Leute, falsch, weil 50 Prozent geben nicht durch Zufall ihren Beruf aus.