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08.12.2022, 17:08 Uhr
Familienklasse in Gießen -
Eltern und Kinder lernen gemeinsam
© dpa
In Hessen gibt es immer mehr Familienklassen. In schwierigen Zeit können Mamas oder Papas hier zusammen mit dem Kind üben (Symbolfoto).
Familienklassen liegen im Trend. Hier drücken Kinder und ihre Eltern gemeinsam die Schulbank, um die Kinder gezielter unterstützen zu können, wenn es vorher Probleme in der Klasse gegeben hat.
An der Ludwig-Uhland-Schule in Gießen machen die Beteiligten seit einigen Jahren sehr gute Erfahrungen mit Familienklassen, erfuhr HIT RADIO FFH bei einem Besuch in der Schule. Der Träger des Projektes, das Albert-Schweitzer-Kinderdorf, will das Programm in den nächsten Jahren auf weitere Schulen ausweiten.
Am Anfang waren viele Eltern skeptisch
Am Anfang stand die Skepsis. Zumindest bei einigen der Eltern, die FFH bei einem Besuch in der Familienklasse antrifft. Doch nach den ersten Stunden überwog die Einsicht: Das bringt was und macht sogar Spaß! "Es tut gut und ich bin mittlerweile gelassener," schildert eine Mutter ihre Erfahrungen im Gespräch mit HIT RADIO FFH. "Die Reibereien zu Hause werden weniger," ergänzt ein Vater.
Kinder lieben den Besuch der Familienklasse
Und für die Kinder ist sowieso klar: "Familienklassen sind prima. Denn hier ist meine Mutter dabei und ich bin nicht alleine." Eine andere Mutter sagt selbstbewusst: "Alle Eltern haben dann und wann Probleme mit der Erziehung. Und alle Kinder tun sich gelegentlich schwer. Wir versuchen das hier einfach gut zu lösen."
Eltern und Kinder berichten über die Familienklasse
Zwischendurch wird gesungen. Auch das stärkt.
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Mein bester Tag war der Freitag. Da hatte ich dreimal grüne Smileys, dunkelgrüne. Und mein nicht so guter Tag war der Donnerstag. Da hatte ich nur zwei hellgrüne. Ich beginne sofort mit meinen Aufgaben. Und da hast du so viele grüne Smilies gekriegt? Ich bearbeite meine Aufgaben zügig. Da hatte ich auch nur grüne. Ich sehe, dass es meinem Sohn sehr gut tut und dass es auch mich unterstützt. Dass man diese Zeit mal ein bisschen zusammen verbringt und dass man dann nicht so abgekapselt voneinander ist. Schule und zu Hause. Die beste Familienklasse der Welt und sie ist gut, weil meine Mama oder mein Papa oder andere mitgehen können. Da bin ich nicht immer ganz allein. Singen! One, two, three! Weil es ist einfach mit den Eltern und das ist halt sehr toll. Und einmal haben wir hier sogar so Kuchen oder so gegessen. Der Übergang von Kindergarten zu Schule, das hat am Anfang auch Tränen gegeben. Dieses Alleinsein morgens und in der ungewohnten Umgebung sein. Und das hat sich jetzt schon schön entwickelt. One, two, three! Weil in der Schule, da gibt es auch nicht so viel Spaß wie hier. Einfach irgendwie ein Gefühl toller.
© FFH
Multitherapeut Christian Hahlgans und Förderschullehrerin Petra Drescher
Das ist der Ablauf in der Familienklasse
Wie funktioniert eine Familienklasse? Multitherapeut Christian Hahlgans und Förderschullehrerin Petra Drescher berichten. Gemeinsam trifft man sich einen Vormittag die Woche in der Klasse: Kinder, Eltern, Multitherapeut und Lehrerin. Nach einem Lied werden die Wochenpläne angeschaut und die Ziele der Kinder besprochen. Anschließend werden gemeinsam Hausaufgaben gemacht. Dabei erleben die Eltern, wie die Lehrerin den Kindern geduldig Rechnen oder auch Wörterschreiben erklärt und dabei auch kleine Fortschritte lobt.
Eltern besprechen Schwierigkeiten der Kinder gemeinsam
Nach dieser Lernphase setzen sich die Eltern zusammen mit dem Multitherapeuten in einen Nebenraum. Dort beratschlagen sie gemeinsam über die Herausforderungen, die ihre Kinder zu bewältigen haben und suchen auch gemeinsam Lösungen. "Sich gegenseitig zu stärken, das ist vielleicht das Wichtigste an den Familienklassen," sagt Christian Hahlgans.
Multitherapeut Christian Hahlgans begleitet die Familienklasse
"Es stärkt, dass gemeinsam Lösungen gefunden werden. Die Kinder kommen, weil sie unruhig waren oder verhaltensauffällig."
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Ich glaube, dass die größte Kraft darin liegt, in der Gruppe sich gegenseitig zu unterstützen, dass die Eltern und die Kinder sich gegenseitig beraten. Ich glaube, das empfinde ich als sehr hilfreich und sehr wertvoll für die Eltern und für die Kinder in ihrer Schullaufbahn. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum die Kinder kommen. Das kann sein, dass der Übergang zwischen Kindergarten und Schule für die Kinder sehr schwierig ist und sie überhaupt noch nicht so den Sinn sehen, regelmäßig in die Schule zu gehen, weil es eine Anforderung gibt, die vorher im Kindergarten eine andere war. Das können Gründe sein, es können aber auch Verhaltensauffälligkeiten sein, um sich gut in der Schule und in der Klasse zurechtzufinden. Das kann Streit sein, das kann auch körperlicher Streit sein, Unruhe, dass man da guckt und das in der Familienklasse einübt und trainiert und dann wieder auf die Stammklasse überträgt.
Lehrerin Petra Drescher pflichtet ihm bei und erklärt: "Die Eltern sehen hier, welche Unterstützung ihre Kinder beim Lernen genau brauchen und können das dann zu Hause immer mehr übernehmen. Auch für mich als Lehrerin ist das eine tolle Arbeit."
Förderschullehrerin Petra Drescher
"Für mich liegt der Wert darin, dass Eltern und Kinder lernen wertschätzend miteinander umzugehen."
Oft fallen die Kinder bei Übergängen auf, zum Beispiel vom Kindergarten in die Schule. Sie ziehen sich zurück, lernen schlecht, haben Konflikte mit anderen Kindern, sind unruhig oder es gibt häufig Streit. Manche wollen gar nicht in die Schule gehen. Die Familienklassen sollen helfen, dass solche Probleme gelöst werden, wenn sie auftreten und sich nicht verfestigen. Deshalb sind die Kinder nur für einige Monate in der Familienklasse. Christian Scharfe vom Albert-Schweitzer-Kinderdorf betreut und organisiert seit Jahren Projekte mit Familienklassen an Schulen. Für Scharfe sind sie eindeutig ein Erfolgsmodell
Christian Scharfe vom Albert-Schweitzer-Dorf in Wetzlar
"Wir können unterstützen und lösen Probleme, bevor sie sich verfestigen."
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Ich finde, die Familienklassen sind wirklich ein sehr, sehr erfolgreiches Projekt. Was wir mit den Familienklassen geschaffen haben, ist, dass wir auch Übergänge vom Kindergarten in die Grundschule, aber auch von der Grundschule in die weiterführende Schule initiieren konnten. Und ich glaube, umso früher wir präventive Hilfen den Familien anbieten, umso nachhaltiger sind sie für die Familien, für die Kinder und auch kostengünstiger. Die Familien erreichen die Familienklassen niederspellig. Das heißt, sie müssen keine Anträge stellen, sondern sie werden über die Schule kommen sie in die Familienklasse und das Angebot ist kostenfrei. Und dadurch erreichen wir auch viele Familien, die vielleicht sonst erstmal keine Hilfe in Anspruch nehmen würden. Und das Besondere ist, dass wir die Familien früh erreichen und dadurch Probleme noch nicht so verfestigt sind, dass sie nicht lösbar sind.
Bislang gibt es Familienklassen an ungefähr 35 Schulen in Hessen. Noch ist das Ganze ein Modellversuch, doch ab Herbst 2023 könnten die Familienklassen regulär Einzug an Hessens Schulen halten.
Albert-Schweitzer-Kinderdorf-Klasse in Wetzlar