Nach Razzien in «Reichsbürger»-Szene: Alle Beschuldigten in U-Haft
Bundesweite Reichsbürger-Razzia - Alle Beschuldigten in U-Haft
Nach der Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene sind inzwischen alle in Deutschland festgenommenen Verdächtigen in Untersuchungshaft. Wann die beiden in Österreich und Italien gefassten Männer den Ermittlungsrichtern vorgeführt werden,teilte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe noch nicht mit.
Die Behörde hatte am Mittwoch 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Drei weitere Festgenommene gelten den Angaben zufolge als Unterstützer. Details etwa zu sichergestellten Waffen nannte die Sprecherin nicht. Sie machte auch keine Angaben dazu, ob sich aus den Vernehmungen und Ermittlungen Hinweise auf weitere Beschuldigte ergeben haben.
Umsturzpläne waren fortgeschritten
Die Umsturzpläne einer Gruppe sogenannter Reichsbürger waren ernsthaft und fortgeschritten - davon sind die Sicherheitsbehörden überzeugt. Und anscheinend war die Großrazzia vom Mittwoch noch nicht das Ende der Fahnenstange.
Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen nach der Großrazzia gegen eine "Reichsbürger"-Gruppierung wegen Umsturzplänen mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen. Die Präsidenten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) sowie der Generalbundesanwalt zeigten sich in Interviews überzeugt von der Ernsthaftigkeit der Umsturzpläne.
Rund 3000 Beamte im Einsatz
BKA-Präsident Holger Münch nannte am Mittwochabend im ZDF-"heute journal" die Zahl von mehr als 150 Durchsuchungen. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden. Münch ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus. Rund 3000 Beamte waren am Mittwoch bei den Razzien im Einsatz.
Verfassungsschutz: Es wurden bereits Waffen beschafft
Nach den Worten von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatten die Sicherheitsbehörden die "Reichsbürger"-Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Entwicklung und Pläne. Die Planungen seien dann immer konkreter geworden und es seien Waffen beschafft worden, sagte Haldenwang in einem ZDF-"Spezial". Er betonte: "Die deutschen Sicherheitsbehörden insgesamt hatten die Lage jederzeit unter Kontrolle. Doch wenn es nach dieser Gruppe gegangen wäre, dann war diese Gefahr schon recht real."
BKA-Präsident: Mussten zuschlagen
BKA-Chef Münch sagte, man habe nicht bis zum letzten Moment warten, sondern genug Beweise sammeln wollen, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handele. Über den Zeitpunkt des offenkundig geplanten Umsturzes gebe es noch keine Klarheit. Der BKA-Präsident verwies aber auf einen "Rat", der Beschlüsse treffe, und einen militärischen Arm, der auch Waffen beschaffe. "Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick. Sondern, wenn das dann klar ist, dann heißt es auch: Zuschlagen."
Festnahmen und Durchsuchungen in Hessen
Der mutmaßliche Anführer der Gruppe kommt aus Frankfurt. Bei ihm soll es sich laut Bundesanwaltschaft um Heinrich XIII. Prinz Reuß handeln. Der 71-Jährige sollte das neue Staatsoberhaupt der Gruppierung werden, so die Bundesanwaltschaft. Festnahmen gab es demnach auch im Kreis Bergstraße und im Hochtaunuskreis, außerdem fand eine Durchsuchung im Lahn-Dill-Kreis statt.
Gründung der Gruppe vor einem Jahr
Die mutmaßliche Reichsbürger sollen spätestens Ende November 2021 eine terroristischen Vereinigung gegründet haben, um Institutionen und Repräsentanten des Staates zu bekämpfen. Ein "militärischer Arm" sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen "beseitigen", teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit.
Auch Tote wären in Kauf genommen worden
Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. "Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten "Systemwechsels auf allen Ebenen" zumindest billigend in Kauf." Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.
Eigene Regierung gebildet
Zentrales Gremium der Gruppierung sei ein "Rat". Das Gremium verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. "Die Mitglieder des "Rates" haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verbogenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen", teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Auch KSK-Soldat im Visier der Ermittler
Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich unter anderem auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Es handele sich dabei um einen Mann aus dem Stab, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes. Der Unteroffizier, der kein Kommando-Soldat ist, war in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen und später aus der Truppe heraus gemeldet worden.
Soldaten und Polizisten sollten rekrutiert werden
Die mutmaßliche "Reichsbürger"-Gruppierung hat laut Bundesanwaltschaft vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im vergangenen Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder demnach für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Im Oktober hätten Angehörige des "militärischen Arms" Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, "um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren".
Festnahmen in mehreren Bundesländern
Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben.
Bundesjustizminister spricht von Terror-Netzwerk
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat die bundesweite Razzia in der Reichsbürgerszene als "Anti-Terror-Einsatz" bezeichnet. "Demokratie ist wehrhaft: Das schrieb der FDP-Politiker auf Twitter. Der Generalbundesanwalt ermittele gegen ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus dem Reichsbürger-Milieu. "Es besteht der Verdacht, dass ein bewaffneter Überfall auf Verfassungsorgane geplant war."
Bundesinnenministerin Faeser hält Rechtsstaat für stark genug
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung. "Militante Reichsbürger verbindet der Hass auf die Demokratie, auf unseren Staat und auf Menschen, die für unser Gemeinwesen einstehen.", so Faeser und weiter: "Unser Rechtsstaat ist stark. Wir wissen uns mit aller Härte gegen die Feinde der Demokratie zu wehren."
Wohl mehr als 20.000 Anhänger in Deutschland
Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu. Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.