Gießener Apotheker in Sorge - Keine Besserung beim Medikamenten-Mangel
Auf der Suche nach Antibiotikasäften für Kinder suchen Eltern aktuell häufig verzweifelt die ganze Stadt ab. Hessen hat deshalb sowohl für Apotheken als auch für den Großhandel die Regeln zur Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland gelockert. Doch die Maßnahmen reichen nicht aus, sagt uns zumindest ein Gießener Apotheker.
Gesundheitsminister Klose sagte Anfang Mai: "Zur Therapie potenziell lebensbedrohlicher Erkrankungen oder schwerer bakterieller Infektionen bei Kindern sind Antibiotikasäfte häufig notwendig. Hier bestehen bundesweit Engpässe. Deshalb erleichtern wir den Apotheken und dem Großhandel in Hessen mit dieser Maßnahme den Bezug und die Abgabe der benötigten Mittel."
Medikamentenmangel könnte sich zuspitzen
Doch dem widerspricht Thorsten Junk, der selber Apotheken führt und dabei auch rund 40 Kliniken in der Region mit Arzneimitteln versorgt. Er befürchtet, der Medikamentenmangel könnte sich sogar noch zuspitzen. "Die Einfuhrregelung ist lächerlich, denn im Gegenzug verhängen die EU-Staaten Exportrestriktionen. Das ist alles keine Lösung." Wenn es so weiter gehe, würden neben Antibiotikasäften vor allem lebensrettende Medikamente in den Kliniken und im Rettungswagen Mangelware, sagt der Apotheker am FFH-Mikro.
Arzneimittel viel zu günstig in Deutschland
Das Problem: Trotz gelockerter Einfuhrregeln würden viele Produktionen aus dem Ausland nicht nach Deutschland liefern wollen, weil Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa viel zu wenig für Medikamente zahle. Doch wer mit einem Rezept für das Blutdruckmittel Bisoprolol in die Apotheke gehe und 15 Euro dafür zahle, wisse möglicherweise gar nicht: 10 Euro davon sind Rezeptgebühr, die geben die Apotheken direkt an die Krankenkasse weiter, erklärt Junk.
Viel bessere Gewinne im Ausland
Laut Apotheker Jung liegen die Medikamentenpreise in anderen europäischen Ländern zwischen 50 und 70 Prozent höher als in Deutschland. Deshalb würden sogar deutsche Firmen lieber exportieren, um im Ausland bessere Gewinne eintreiben zu können.
Finanzielles Risiko durch Alternativ-Arznei
Apotheken und Großhändlern ist es durch die hessische Allgemeinverfügung nun möglich, antibiotikahaltige Säfte für Kinder aus dem Ausland zu beziehen. Damit darf auch Ware an die Kunden ausgegeben werden, die nicht in deutscher Sprache gekennzeichnet ist und auch keine deutsche Packungsbeilage beigefügt hat. Doch: Sich mit diesen als Apotheke zu bevoraten sei ein finanzielles Risiko, so Junk.
Apotheker bleiben auf Vorrat sitzen
Kann nämlich der "ursprüngliche" Hersteller, also der, der von den Krankenkassen den Rabatt bekommt, spontan wieder liefern, bleibt der Apotheker auf den Ausweich-Arzneimitteln sitzen und darf diese nicht mehr ausgeben.
Alternativ-Medikament als Notlösung
Als Beispiel erzählt der Apotheker im FFH-Gespräch: "Ich habe an einem Sonntag Notdienst für Gießen. Nach meiner Erfahrung weiß ich, da kommen viele Kinder und ich benötige eine gewisse Menge an Antibiotika. Nun bemerke ich, dass einige davon nicht lieferbar sind. Nun wäre meine Maßgabe, einen anderen Hersteller mir an Lager zu legen in der nötigen Menge. Ich kaufe also z.B. 20 Packungen eines alternativen Herstellers am Donnerstag ein, damit ich am Sonntag die Patienten in Gießen versorgen kann. Dummerweise bucht aber am Freitag der Großhandel eine überraschende Lieferung des Rabattpräparates in sein Lager ein, das Produkt wird nun wieder lieferbar."
"Ein wahres Trauerspiel"
Schon kann die Apotheke vor der Krankenkasse nicht mehr rechtfertigen, warum das Alternativ-Medikament ausgegeben werden sollte. "Es ist ein wahres Trauerspiel und nie hätte ich gedacht, in welcher Geschwindigkeit politische Fehlentscheidungen eine ganze Branche tief abstürzen lassen. Es wird bis hin zu der Entscheidung gehen, dass nur bestimmte Patienten nötige Medikamente erhalten werden", befürchtet Thorsten Junk.