Wölfe mitten im Ort gesichtet: Aufregung im Werra-Meißner-Kreis
Wölfe mitten im Ort gesichtet - Ängste und Sorgen im Werra-Meißner-Kreis
Die Ansiedlung des Wolfes sorgt im Werra-Meißner-Kreis für Ängste und Sorgen bei der Bevölkerung. In Sontra-Hornel berichten die Anwohner von beinahe täglichen Sichtungen. In Waldkappel haben Kitas schon die Waldtage gestrichen. Das Wolfszentrum Hessen spricht von einem natürlichen Ansiedlungsprozess. Von Wölfen ginge keine Gefahr für Menschen aus.
"Der Wolf ist mehrfach hier im Ort gesichtet worden, treibt sich auf dem Friedhof rum, kommt in den Ort rein, stand schon direkt vor Kindern - das können wir so nicht mehr tragen", sagt Tobias Wagner. Er wohnt in Sontra-Hornel, arbeitet als Dienstleister für die Landwirtschaft und züchtet Zwergzebu-Rinder als Hobby. Seine Tiere schickt er aber auch nicht mehr auf die Weide. Einmal habe es fast einen Übergriff gegeben. "Ich konnte die Wölfe gerade noch vertreiben."
Kameras und nächtliche Rundfahrten
Mittlerweile hängen Kameras in Hornel, die Anwohner machen nächtliche Rundfahrten. "Die Kinder haben im Dunklen Angst, durch den Ort zu gehen", sagt Anwohner und Familienvater Chistoph Bierwirth im FFH-Gespräch. Er ist nicht der Einzige in der Region, der sich eine "Reduktion des Wolfes" wünscht - also eine Bejagung des streng geschützten Tieres.
"Ansiedlung ist ein natürlicher Prozess"
"Im Werra-Meißner-Kreis hat sich eine Wolf-Population etabliert und ist dabei, sich weiter auszudehnen. 2022 wurden erstmals Wolfswelpen registriert, mindestens ein Rudel hat sich gebildet", heißt es vom Werra-Meißner-Kreis auf FFH-Anfrage. Das bestätigt auch Annika Ploenes vom Hessischen Wolfszentrum.
Nachdem in den Vorjahren die sogenannte Stölzinger Wölfin mit Rissen von Weidetieren zumeist Landwirte in der Region beschäftigt hat, hat sich nun eine neue Dynamik ergeben. Fünf Wolfswelpen habe man im Werra-Meißner-Kreis im vergangenen Jahr nachweisen können, Waldkappel wurde erst vergangene Woche als neues Wolfsterritorium klassifiziert. Die Entwicklung hat offenbar deutliche Auswirkungen auf die Sichtbarkeit des Wolfes bei der Bevölkerung. "Die Ansiedlung jetzt ist ein natürlicher Prozess", sagt Ploenes.
Zahlen zum Wolf in Hessen: Insbesondere im vergangenen Jahr hat die Ansiedlung des Wolfs in Hessen eine neue Dynamik erfahren. War bis Anfang 2022 nur ein Wolfsrudel bei Rüdesheim bekannt, hat es im vergangenen Jahr nun auch an anderen Orten Nachwuchs gegeben. Zum einen bei dem bekannten Rudel in Rüdesheim, aber auch bei einem Wolfspaar im Bereich Wildflecken (Osthessen/mindestens sechs Welpen) und im Raum Waldkappel (Nordhessen/fünf Welpen).
Insgesamt gibt es derzeit vier bestätigte Wolfsterritorien in Hessen. Neben den genannten Rudeln hat sich im November auch ein einzelner Wolf in Bereich Wetterau/Hochtaunuskreis angesiedelt. Die so genannte "Stölzinger Wölfin" im gleichnamigen Gebirge in Nordhessen wurde zuletzt nicht mehr nachgewiesen. Im vergangenen Jahr gab es 20 bestätigte Risse von Nutztieren. Laut Wolfszentrum sei das ein niedriges Niveau im Vergleich zu anderen Bundesländern - in Brandenburg etwa wurden im Jahr 2021 über 1.100 Tiere gerissen.
Kitas streichen Waldtage wegen Wolf
In Waldkappel haben Kindergärten "Rappelkiste" und "Pusteblume" bereits ihre regelmäßigen Ausflüge in den Wald gestrichen. "Die Eltern sind wegen der Wolfssichtungen sehr besorgt", sagt Bürgermeister Frank Koch zu FFH. Sein Facebook-Post hatte hohe Wellen geschlagen. Die Ängste nehme man ernst, sagt er. Jetzt sind Infoveranstaltungen geplant. Für Frank steht aber auch fest: "Die Kinder sollen in Zukunft wieder in den Wald gehen."
FDP im Kreistag fordert Abschuss
Auch auf politischer Ebene im Werra-Meißner-Kreis ist das Thema längst auf vielen Tagesordnungen, aktuell auch mit einem Antrag der FDP-Fraktion (3 Mitglieder) für den Kreistag kommende Woche. Dort wird vom Land Hessen unter anderem die Entnahme - also der Abschuss, von "Problemwölfen" gefordert. Wölfe, die sich Siedlungen nähern, seien laut FDP Problemwölfe. "Die Konflikte, die eine wachsende Anzahl sesshafter Wölfe verursacht, haben im
Kreis schon jetzt ein Maß erreicht, welches nicht mehr hinnehmbar ist", heißt es im Antrag.
Deutschlandweit keine Übergriffe bekannt
Begründet seien die Ängste vor dem Wolf allerdings nicht, heißt es vom Wolfszentrum. "Seit Wölfe vor 20 Jahren nach Deutschland zurückgekehrt sind, wurde kein Übergriff auf Menschen festgestellt", sagt Wolfsexpertin Ploenes. In Sachsen etwa, wo es deutlich mehr Wölfe gebe, würde es nach wie vor Waldkindergärten auch in Wolfsgebieten geben. Übergriffe in Ländern wie der Türkei oder Iran seien zumeist auf Tollwut zurückzuführen - die sei aber in Deutschland seit 2008 ausgerottet. Wölfe seien daher nicht gefährlicher als Wildschweine oder manche freilaufende Hunde. Auch das Umweltministerium sieht bei derzeit etwa 25 nachgewiesenen Wölfen in Hessen keinen akuten Handlungsbedarf, sagte eine Sprecherin zu FFH.
Infoveranstaltungen im Werra-Meißner-Kreis
Trotzdem reagiert das Wolfszentrum auf die Sorgen. Für den 23. Februar ist eine Infoveranstaltung für Weidetierhalter in Wehretal geplant. "Auf Drängen von Landrätin Nicole Rathgeber, da die zuständigen Institutionen bislang kaum vor Ort präsent waren", heißt es von einem Kreissprecher. Im März soll im Werra-Meißner-Kreis eine allgemeine Infoveranstaltung für die Bevölkerung im Kreis folgen. Laut Kreis seien auch weitere Veranstaltungen in Schulen und Kitas geplant.
"Urbane Bevölkerung wünscht sich Hauch von Yellowstone"
Tobias Wagner aus Sontra-Hornel kann das bisher nicht überzeugen. "Die urbane Bevölkerung wünscht sich in Hessen einen Hauch von Yellowstone, das kann aber nur im Einklang mit den Menschen vor Ort passieren", sagt er. "Diese Mengen an Wölfen sind so nicht zu ertragen." Wagner hält auch die Angaben der Landesregierung zur Anzahl der Wölfe für deutlich zu niedrig. Seine Sichtungen hätte er übrigens auch dem Wolfszentrum mehrfach gemeldet, ohne Reaktion, wie er sagt. Das Wolfszentrum entgegnet, man habe keine Nachrichten zu Sichtungen aus Sontra-Hornel erhalten. Aber nur mit diesen Infos könne man sich ein echtes Bild der Lage in Hessen machen.