Kinderärzte schlagen wegen RS-Virus Alarm
Hessens Kinderärzte am Limit - FFH-Recherche zum RS-Virus
Das RS-Virus, eine gefährliche Atemwegserkrankung bei Kleinkindern, sorgt derzeit auch in Hessen für Alarmstimmung in den Praxen und Krankenhäusern. Es gibt kaum noch Intensivbetten und die kleinen Patienten müssen oft Stunden auf ihre Behandlung warten. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sagt, Schuld daran sind personelle Probleme.
"Wir gehen am Stock", so der Bad Homburger Kinderarzt Ralf Moebus, "die Praxen und Kliniken sind am Limit". Die Säuglinge und Kindergartenkinder seien insbesondere vom RS-Virus betroffen, dazu kämen viele Influenza-Fälle bei Schulkindern und bei allen Altergruppen zudem noch Corona-Infektionen. "Deshalb ist in den Praxen und Klinien der Behandlungsaufwand so hoch."
Kinder müssen häufiger im Krankenhaus behandelt werden
Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte zuletzt bundesweit von einer starken Zunahme von RSV-Infektionen berichtet. Besonders Kinder bis 4 Jahre würden immer häufiger deswegen in Krankenhäusern behandelt. Zahlen für einzelne Bundesländer hat das RKI nicht. Das RS-Virus kann Moebus zufolge vor allem für Kinder unter einem Jahr gefährlich werden. Wenn sie Atemnot bekämen, müssten sie Sauerstoff bekommen und seien daher auf einen Platz im Krankenhaus angewiesen.
"Ein Rennen von Zimmer zu Zimmer"
"Wir arbeiten weit über dem Limit", sagt auch Prof. Dr. Andreas Jenke, Chefarzt der Kinderklinik am Klinikum Kassel im FFH-Gespräch. Fast alle Betten auf der infektiologischen Station sind mit RS-Virus- oder Grippe-Fällen belegt. "Es ist ein Rennen von Zimmer zu Zimmer - fast alle Patienten auf der Station haben Sauerstoff-Bedarf."
Auf ein Bett warten zwei oder drei Patienten
Sobald ein Kind von der Sauerstoff-Versorgung her stabil sei, werde es entlassen, um Platz für den nächsten Notfall zu schaffen - selbst wenn die Eltern sich noch unsicher fühlen. "Weil auf dieses Bett schon zwei oder drei weitere Patienten warten", sagt Jenke und kritisiert: "Dass das passieren würde, wussten wir seit drei Monaten, das ist auch immer kommuniziert worden - aber man hat uns nicht geglaubt."
"Dramatische" Lage am Klinikum Fulda
Auch in der Kinderklinik am Klinikum Fulda sei die Lage aktuell "dramatisch": Chefarzt Prof. Dr. Rainald Repp sagt im Gespräch mit HIT RADIO FFH, dass die Belegung vergangene Woche zwischen 150 und 168 Prozent lag. „Ich muss ehrlich sagen, ich hätte nicht gedacht, dass das überhaupt möglich ist, was das Team derzeit schafft. Das kann ich wirklich nur bewundern“, sagt Repp.
Noch nie da gewesene Situation am UKGM
Diese Kombination aus so vielen Infekten gleichzeitig gab es in der Kinderklinik am Uni-Klinikum Gießen und Marburg (UKGM) noch nie, sagt Sprecherin Christine Bode. "Sie stellt unsere Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegenden vor extreme Herausforderungen." Auch hier sei die Lage angespannt und die Bettenkapazität zeitweise nahezu ausgeschöpft. Damit keine Kinder abgewiesen werden müssen, würden Zwei-Bett-Zimmer auf Drei-Bett-Zimmer aufgestockt.
Planbare Operationen verschoben
Eine ähnliche Lage schildert uns der Ärztliche Leiter der Darmstädter Kinderkliniken, Dr. Sebastian Becker. Hier sei die Intensiv- und die Normalstation nahezu komplett belegt (Stand: 5.12.), jeweils vollständig mit Kindern und Jugendlichen mit RS-Virus und Influenza. Planbare Operation würden verschoben. Teilweise hätten Kinder bereits im Krankenbett auf den Flur geschoben werden müssen. Die Lage beim Pflegepersonal bezeichnete Becker für sein Haus als stabil. "Katastrophal" sei dagegen die Situation in der Kinder-Notfallambulanz und bei Kinderärzten. Hier müssten Eltern mit ihren kranken Kindern aktuell mit sehr langen Wartezeiten rechnen.
Das RS-Virus löst meist eine harmlose Atemwegsinfektion aus. Nahezu jedes Kind kommt mir dem Erreger in Berührung. Bei kleinen Kindern, die zu einer Risikogruppe gehören, kann eine Infektion aber lebensbedrohlich werden. Sie müssen teils Sauerstoff bekommen und sind daher auf einen Platz im Krankenhaus angewiesen. Zu den Risikogruppen zählen Frühgeborene, Kinder mit Herzfehler oder Asthma.
"Praxen sind rappelvoll"
"Die Kinderarzt-Praxen sind rappelvoll. Wir haben über 100 Patienten am Tag", sagt Soraya Seyyedi. Sie ist Kinderärztin in Wiesbaden und Sprecherin vom Verband der Kinder- und Jugendärzte in Hessen. "Sonst sind die unterschiedlichen Infekte verteilt übers Jahr, aber wegen der Hygienemaßnahmen durch Corona haben die Kinder die Infekte nicht mehr mit gemacht." Auch sie sagt: "Wir sind übers Limit". Und auch sie kritisiert den Mangel an Betten in den Kliniken. "Die sind einfach kaputtgespart worden - und das ist ziemlich traurig."
Auch Lauterbach gibt sich besorgt
"Die Kinderärzte sind genauso besorgt wie ich", hieß es von Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Montag auf Twitter. Man arbeite aber schon seit Monaten an einer Entlastung der Kinderkliniken, sie gelte ab dem nächsten Jahr. Am Freitag hatte der Bundestag ein Gesetzespaket zu Krankenhäusern beschlossen, das mehr Geld für Kinderkliniken und Entlastungen bei dringend benötigten Pflegekräften bringen soll. Für Kinderkliniken soll es 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich geben. Insgesamt seien 300 Millionen Euro aber "nicht so wahnsinnig viel Geld", sagt Jakob Maske, Sprecher vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte. In den Plänen werde aber auch nur die klinische Medizin bedacht und nicht die ambulante. Die ambulanten Kinder- und Jugendmediziner behandelten aber 85 bis 90 Prozent der Erkrankten.
Wie kann ich mein Kind vorm RS-Virus schützen?
Das Kind vor dem RS- und dem Grippevirus zu schützen, sei schwierig, sagt Kinderarzt Reinald Repp vom Klinikum Fulda. Eine Grippeimpfung für Kinder sei aktuell von der STIKO, der ständigen Impfkommission, nicht empfohlen. Gegen das RS-Virus gebe es nur eine passive Immunisierung, bei der im Winter im Abstand von vier Wochen fünf Mal ein Antikörper gespritzt werde. Das sei aber nur vorgesehen für besonders grunderkrankte Kinder, wie beispielsweise mit einem schweren Herzfehler.
Kranke Erwachsene sollten Kontakt mit Säuglingen meiden
Beide Viren seien mindestens so ansteckend wie Covid. Das RS-Virus werde zudem in hohem Maße von Erwachsenen übertragen, die dann möglicherweise nur einen leichten Schnupfen haben und sonst nicht viel merken. Deshalb solle man auch als Erwachsener mit augenscheinlich harmlosen Symptomen gerade den Kontakt zu Säuglingen meiden. Ansonsten gelte das Gleiche wie bei Covid: Große Menschenansammlungen meiden. Sobald das Kind sichtbar Probleme beim Atmen bekommt, sollte man zum Arzt, sagt Repp. Das erkenne man am angestrengten oder ungewöhnlich schnellen Atmen und am schlechten Allgemeinzustand. Reagieren die Kinder schlecht oder sind gar apathisch und kriegen sie schlecht Luft, dann sollten Eltern mit ihren Kindern unbedingt zum Arzt oder ins Krankenhaus.