"Passt doch zum Schulstart!", findet Tina. Wir sagen Dankeschön für die XXL-Hefebrezel.
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Normalerweise hat man direkt den Zimmermann auf der Walz im Kopf, wenn man sich Gesellen auf ebendieser vorstellt. Aber auch Konditorinnen und Konditoren können auf die Walz gehen. So wie Tina Siefer aus Aarbergen. Die 28-Jährige war über vier Jahre unterwegs und spricht in FFH Guten Morgen, Hessen über die für sie prägende Zeit und auf was man sich als Geselle einstellen muss.
Feste Regeln für die Walz
Wieviele Gesellen in Deutschland gerade auf der Walz sind, ist schwer zu sagen, weil es keine offizielle Meldestelle gibt. Einige sind freireisend unterwegs, andere mit einer Organisation. Geschätzt wird die Zahl auf 500 - 600. Konditorin Tina war eine von ihnen. Über vier Jahre war die heute 28-Jährige unterwegs. Ohne Handy - denn das ist auf der Walz verboten - und ohne ihrem Heimatort in dieser Zeit näher als 50 Kilometer zu kommen.
Geld für Transport oder Unterkunft durfte sie auch nicht ausgeben und so war sie auf nette Menschen angewiesen, die sie am Straßenrand mit ausgestrecktem Daumen sahen, sie mitnahmen und vielleicht sogar bei sich übernachten ließen.
Übernachten im "Tausend-Sterne-Hotel"
„Man weiß morgens nicht, wo man abends schläft“, sagt Tina im Gespräch mit den FFH Guten Morgen, Hessen-Moderatoren Julia Nestle und Daniel Fischer. „Jetzt im Sommer ist es herrlich, im Tausend-Sterne-Hotel draußen im Schlafsack zu übernachten. In der kalten Jahreszeit muss man schauen, dass einen jemand einlädt und man vielleicht auf dem Sofa, oder auch auf dem Fußboden trocken und frostfrei schlafen kann.“
Natürlich sei es ihr in der Zeit auf der Walz passiert, dass sie draußen geschlafen habe und vom Regen überrascht wurde. „Der Regen lief mir in den Schlafsack rein und wenn die Kluft einmal nass ist, dann ist sie für drei Tage nass. In solchen Momenten denkt man: Warum mache ich das eigentlich? Im nächsten Moment wird es einem klar, weil wieder was Tolles passiert“, erzählt die angehende Konditor-Meisterin. Ihre Meisterprüfung steht bevor.
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Unterwegs in ganz Europa
In den vergangenen vier Jahren hat sie sich allerhand Zusatzwissen aneignen können. Bei Julia und Daniel erzählt Tina, dass es für sie immer spannend war, in den Betrieben in Ländern wie Bulgarien, Belgien, Spanien, Portugal aber auch hier bei uns in Deutschland zu sehen, welche verschiedenen Produkte hergestellt werden. Am meisten habe sie aber über sich selbst gelernt: „Ich habe mich weiterentwickelt, bin selbstbewusster geworden und kann jetzt sehr gut mit mir alleine sein. Ohne Handy, ohne medialen Einflüsse.“
Am Anfang ungewohnt, kein Handy zu haben, aber dann habe sie es ganz schnell genossen, sagt Tina bei FFH.
Erstes Lebenszeichen nach vier Monaten
Nach vier Monaten habe sie sich zum ersten Mal bei ihren Eltern, die eine Backstube betreiben, gemeldet. Es gebe nämlich eine Kontaktsperre für eine gewisse Zeit, die den Gesellinnen und Gesellen auf der Walz helfen soll, besser loslassen und sich auf das Abenteuer einlassen zu können.
Einige Male habe ihre Familie sie aber an ihren neuen Arbeitsplätzen besucht, erzählt Tina. Und die wechselten ständig. „Man sagt immer: Wenn der Postbote deinen Namen kennt, oder der Nachbarshund nicht mehr bellt, ist es allerhöchste Zeit zu gehen.“ Länger als drei Monate (am Stück oder gestückelt) dürfen junge Leute auf der Walz nicht an einem Ort bleiben. Eine neue Arbeit muss dann her.
Jobsuche auf der Walz
Und dann heißt es Klinkenputzen. Lief für Tina glücklicherweise aber immer recht gut. Sie sei über ihren Schatten gesprungen und hätte einfach bei Konditoreien angeklopft und nach Arbeit gefragt: „In der Schweiz war es etwas schwieriger, Arbeit zu finden. Da musste ich über 20 Betriebe abklappern. Ansonsten hatte ich echt immer Glück. Ich habe auch zwei Mal in Nordhessen gearbeitet, was fantastisch war.“
Ich glaube, was mich am meisten geprägt hat, ist dieser Zusammenhalt unter den Wandergesellinnen und Wandergesellen. Das ist schon ein ganz besonderes Miteinander und ich glaube, das wird auch niemals vergehen. Hast du dann einfach irgendwo geschlafen bei Leuten oder gibt es so spezielle Orte, wo ihr euch dann aufhaltet, wenn ihr sozusagen auf Wanderschaft seid? Oder wie muss ich mir das vorstellen? Also im Prinzip ist es schon so, dass man morgens noch nicht weiß, wo man abends schläft. Eine unserer Grundregeln ist, dass wir kein Geld ausgeben für Unterkunft und Fortbewegung. Einfach mal eben ein Hotel oder Pensionszimmer nehmen geht natürlich auch nicht. Und deshalb sind wir einfach darauf angewiesen, dass wir an der Straße stehen, Daumen raushalten und hoffen, dass die Leute anhalten. Und auch beim Übernachten, jetzt bei dem Wetter ist es natürlich herrlich. 1000 Sterne Hotel, draußen schlafen, im Schlafsack. Und beim Übernachten im Winter muss man dann schon mal hoffen, dass einen jemand einlädt und vielleicht Sofa frei ist oder auch einfach nur an der Fußboden, dass man trocken und frostfrei schlafen kann. Aber sag mal, wie ist das mit dem Arbeiten in dieser Zeit? Weil du sagst ja, okay, Netzwerk und natürlich wolltest du Erfahrungen sammeln. Wie viel warst du unterwegs und wie viel hast du dann an einer Stelle gearbeitet? Wir dürfen maximal drei Monate an einem Ort bleiben. Und dann muss es weitergehen? Am Stück oder auch gestückelt, genau. Und dann muss es weitergehen. Also wir sagen immer, wenn der Postbote deinen Namen kennt oder der Nachbarshund nicht mehr bellt, dann ist es aller spätestens dann Zeit zu gehen und weiterzuziehen. Ja, Arbeit suchen, klar, einfach vor der Tür stehen, anklopfen und den Überraschungsmoment ausnutzen. Aber du hörst überall, es werden händeringend Menschen gesucht und das gilt ja nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. Also eigentlich muss es dir nie schwer gefallen sein, oder, was zu kriegen? Ja, einmal in der Schweiz war es ein bisschen zäh. Okay, die Schweizer, die verwöhnten Schweizer. Ja, da musste ich über 20 Betriebe abklappern, bis ich was gefunden habe. Ja, ansonsten habe ich echt eigentlich immer Glück gehabt. Ich habe auch in Nordhessen zweimal gearbeitet und das war echt fantastisch.
Ich glaube, ich bin selbstbewusster geworden und ich kann sehr gut mit mir alleine sein. Und ich befürchte, es gibt nicht so viele Leute, die das gut können. Ja. Und dadurch, dass man auch ohne irgendwelche medialen Einflüsse so unterwegs ist. Wir haben ja kein Handy dabei während der Zeit. Du warst vier Jahre ohne Handy. Ja. Krass ist, also für unser eins unvorstellbar. Ja. Und das geht total gut. Am Anfang ein bisschen ungewohnt natürlich, hatte ich vorher auch eins. Und dann habe ich das ganz schnell genossen. Haben die sich zu Hause keine Gedanken gemacht dann? Ja, vielleicht ein bisschen, aber so nach vier Monaten habe ich mich das erste Mal gemeldet zu Hause. Hab schon, ja doch. Ja, man hat am Anfang so eine kleine Kontaktsperre einfach, damit man einmal loslassen kann. Ja, verstehe ich. Ja. Aber sag mal, vier Jahre, gerade weil ihr in Familienbetrieb seid, haben die nicht mal irgendwann dann auch gesagt, willst du nicht mal nach Hause kommen, Tina? Das haben sie zum Glück nicht gemacht. Da haben sie mich überhaupt nicht unter Druck gesetzt, weil denen völlig klar war, diese Reise muss man beenden, wenn man das Gefühl hat, jetzt ist gut, also drei Jahre und einen Tag müssen wir ja unterwegs sein, das ist so die Pflichtreisezeit. Und wenn man das dann irgendwie recht zügig beendet und eigentlich noch gar nicht so weit war, ich glaube, das hängt einem ganz schön lange nach. Wie war dieser Moment, als du nach vier Jahren wieder nach Hause gekommen bist? Wow, das war wirklich unglaublich. Ja, also das ist so, dass ich von ungefähr 25 Wandergesellinnen und Wandergesellen begleitet wurde auf den letzten Metern. Also die letzte Woche ist so ein richtig zeremonielles Nachhausegehen. Und in Herborn haben wir uns getroffen und sind dann so Richtung Süden meiner Heimat entgegen. Und es wurde natürlich immer aufregender, je bekannter es für mich wurde, weil ich natürlich nie in der Nähe meiner Heimat war, das durfte ich ja gar nicht. Und an dem Samstag, als ich nach Hause kam, dieser Weg zu meinem Ortsschild hin mit den ganzen Wandergesellen, das war unglaublich. Also ich habe dann ja auf meinem Ortsschild oben gesessen und die Wandergesellen haben mich da hochgehoben. So dieses symbolische über die Stadtmauer gehen, klettert man halt heute übers Ortsschild. Und da oben zu sitzen, auf der einen Seite die Wandergesellen und auf der anderen Seite die Familie und die Freunde, da kriege ich Gänsehaut, wenn ich dran denke.
Ich sag mal so, ich würd's immer wieder machen, aber nicht noch mal. Okay. Okay, da musst du drüber nachdenken. Wie meint sie das jetzt? Ja, nee, es ist einfach schon sehr anstrengend auch gewesen. Es zehrt auch ganz schön. Weil man hat halt nicht immer eine Übernachtungsmöglichkeit. Und es scheint halt auch nicht immer die Sonne in viereinhalb Jahren. Und ich bin schon im strömenden Regen aufgewacht und es ist irgendwie in meinen Schlafsack reingelaufen, weil wir's nicht rechtzeitig gemerkt haben. Und ich hab mir dann vorgeschaut, was ich anhab. Wenn die einmal nass ist, dann ist die nass. Und zwar die nächsten drei Tage. Und wenn's dann auch noch Herbst oder Winter ist, dann dauert das noch mal zwei Tage länger, bis die trocken ist. Und cool. Und dann hängt man da und denkt sich nur, warum mach ich das eigentlich? Und dann im nächsten Moment wird's einem wieder völlig klar, weil irgendwas total Tolles passiert. Und das war schon echt ganz schön gut. Und woran hat man dich erkannt? Was heißt ein Kluft dann in dem Fall? Warst du dann weiß? Nee. Also, das ist schon so, dass es von Gewerk zu Gewerk unterschiedlich ist, welche Kluft man da trägt. Und bei Konditorinnen und Konditoren ist es so, dass man eine schwarz-weiß-karierte Kluft trägt. Ach, echt? Genau. Und das sind eben alle lebensmittelverarbeitenden Gewerke. Also zum Beispiel auch Brauerinnen und Brauer oder Käserinnen, die tragen eine karierte Kluft. Und hast du auch was auf dem Kopf gehabt? Einen schwarzen Hut natürlich. Den darf auch kein anderer anfassen außer einem selbst. Tatsächlich nicht anfassen? Das wird teuer, ja. Was passiert, wenn ich den angefasst hätte? Du hast heute keinen auf. Aber was passiert, wenn ich den anfassen würde? Dann hättest du mir mindestens ein Bier ausgeben müssen. Aha.
Unterwegs war Tina per Anhalter. Immer zu erkennen an ihrer Kluft; einem Dreiteiler mit schwarzem Hut (den übrigens keiner berühren darf, sonst muss mindestens ein Bier spendiert werden) und einer schwarz-weiß-karierten Hose, so wie sie die Gesellen aus den Lebensmittelverarbeitenden Gewerken tragen.
Emotionale Heimkehr
Als sich Tina dann bereit fühlte, ihre Walz zu beenden, wurde sie traditionell von anderen Wandergesellinnen und -gesellen nach Hause begleitet. Die Gruppe von etwa 25 Leuten traf sich in Herborn und wanderte dann eine Woche lang mit Tina nach Aarbergen. „Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt sie in FFH Guten Morgen, Hessen. „Der Weg zu meinem Ortsschild hin war unglaublich. Die anderen Wandergesellen haben mich dann aufs Ortsschild gehoben, was symbolisch fürs ‚Über die Stadtmauer gehen‘ steht. Ich bin heute dank der Walz definitiv ein anderer Mensch.“
Emotionale Rückkehr: Von den anderen Wandergesellinnen und Gesellen wurde Tina auf ihr Ortsschild gehoben. Eine Zeremonie, die es am Ende der Walz immer gibt.