Anwalt zur Tat an 12-Jähriger - "Der Gesetzgeber schaut tatenlos zu"
Im Fall der erstochenen 12-Jährigen aus Freudenberg haben laut Staatsanwaltschaft zwei 12- und 13-jährige Mädchen die Tat gestanden. Da sie jünger als 14 Jahre sind, gehen die Ermittler von einer sogenannten Strafunmündigkeit aus.
Strafverteidiger Burkhard Benecken erklärt in FFH Guten Morgen, Hessen, was dies genau bedeutet und wie deutsche Gerichte mit so jungen Tatverdächtigen umgehen.
Geständnis von zwei jungen Mädchen
Nach dem Gewaltverbrechen an der zwölfjährigen Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft zu den Hintergründen des Falls. Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren haben gestanden, die Zwölfjährige erstochen zu haben.
Wohl keine Strafe für die Täterinnen
In Deutschland gelten unter 14-jährige als Kinder, die hierzulande nicht bestraft werden können, erklärt Strafverteidiger Burkhard Benecken in FFH Guten Morgen, Hessen: "Das einzige was überhaupt möglich ist nach der derzeitigen Rechtslage, ist, dass das Jugendamt sich kümmert, dort mal jemand vorbeischaut und den Finger erhebt."
Benecken: "Der deutsche Gesetzgeber schaut tatenlos zu"
Weitere Konsequenzen hätten die jungen Tatverdächtigen nicht zu fürchten: "Im Extremfall droht auch mal eine Heimeinweisung für einige Wochen. Aber ansonsten schaut der deutsche Gesetzgeber, das muss man wirklich so sagen, tatenlos zu", sagt Burkhard Benecken.
Die Grenze der Strafmündigkeit gilt erst ab dem 14. Lebensjahr: ein Alter, ab dem einem Mensch laut Gesetzgeber zugetraut wird, die Folgen und Schwere seiner Handlungen einzuschätzen - und diese vor allen Dingen bewusst auszuüben.
Im Interview: Das sagt der Experte
Soll die Strafmündigkeitsgrenze gesenkt werden?
Mit dem Fall ist auch eine Diskussion entbrannt, ob die Strafmündigkeitsgrenze abgesenkt werden soll. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat dies bereits abgelehnt. Buschmann erklärte, Kinder unter 14 Jahren würden zwar strafrechtlich nicht belangt, "aber unsere Rechtsordnung kennt andere Wege, um darauf zu reagieren, etwa das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Familienrecht".
Justizminister Buschmann: Solche Verbrechen bleiben nicht folgenlos
Für ihn hat der Staat bereits jetzt ausreichende Mittel, um auf derartige Fälle zu reagieren. "Solch schwere Verbrechen können nicht folgenlos bleiben - sie tun es in der Regel auch nicht.", sagt Buschmann im Interview mit der dpa.
Benecken sieht das anders: "Ich fordere schon seit Jahren, dass man die Strafmündigkeitsgrenze auf das zwölfte Lebensjahr absenkt. Nicht weil ich 12- oder 13-Jährige ins Gefängnis stecken will, sondern weil in dem Alter, in der heutigen Zeit, in der die Kinder viel früher entwickelt sind, als vor 40 oder 50 Jahren, Intensivstraftäter-Karrieren häufig beginnen."
Benecken: Junge Täter steigern sich in ihrer Kriminalität
Solche "Karrieren" begännen normalerweise nicht mit Mord, sondern mit Körperverletzung. Und da keine Konsequenzen folgten, steigern sich die Jungen oder Mädchen dann in ihrer Kriminalität, beobachtet Benecken in seinem Alltag als Strafverteidiger.
Intensivstation statt Gefängnis
Kinder in ein Gefängnis zu stecken ist für Benecken allerdings auch keine Lösung: "Im Knast werden junge Menschen in der Regel noch schlechter, das kann nur die absolute Notlösung sein, wenn es gar nicht anders geht. In der Regel sollte man ganz anders ansetzen, mit wirklich pädagogisch wirksamen Maßnahmen. Wenn die ersten Körperverletzungen kommen, sollte man so junge Menschen beispielsweise mal verurteilen ein Praktikum auf der Intensivstation zu machen, um sich anzuschauen, wie es den Opfern solcher Taten geht. Ich glaube, so etwas hätte einen Effekt."
Zahl der Tatverdächtigen Kinder rückläufig
Die Zahl der tatverdächtigen Kinder unter 14 Jahren ist laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik in den letzten 13 Jahren* allerdings auch unter der jetzigen Reglung rückläufig. Im Jahr 2009 wurden deutschlandweit 96.627 Kinder unter 14 Jahren als Tatverdächtige erfasst, im Jahr 2021 waren es nur noch 68.725. Im Bereich von 12 bis 14 Jahren fiel die Zahl der Tatverdächtigen von 59.620 auf 39.161.
* Durch eine Umstellung der Zählweise sind ältere Fallzahlen nicht vergleichbar
Über Burkhard Benecken
Burkhard Benecken ist Strafverteidiger, Buchautor und beleuchtet im beliebten Podcast "Die Advokaten des Bösen" zusammen mit seinem Kollegen Hans Reinhardt spektakulären Fälle und bewegende Kriminalfälle.