Ärztemangel auf dem Land: In Hessen fehlen 220 Ärzte
Kaum Praxen auf dem Land - In Hessen fehlen 220 Ärzte
Auf dem Land fehlt es an Arztpraxen. Das Problem ist nicht neu, könnte sich aber in den nächsten Jahren noch verschärfen. Davor warnt der Hessische Hausärzteverband.
Der Verband mit Sitz in Hattersheim spricht auf FFH-Nachfrage von 220 freien Arzt-Stellen im vergangenen November. Der größte Teil davon fehlt im ländlich Gebiet. 37% aller Hausärzte in Hessen sind darüber hinaus älter als 60 Jahre, was zur Folge haben kann, dass der Arztmangel auf dem Land künftig noch größer werden könnte, so der Hausärzteverband.
Ärzte-Engpass in Bad Sooden-Allendorf
Besonders zugespitzt hat sich die Hausarztversorgung zuletzt in Bad Sooden-Allendorf (Werra-Meißner-Kreis). "Uns sind in den letzten drei Jahren drei Hausarztpraxen weggebrochen - sei es durch Ruhestand oder vorzeitigen Tod", sagt Wolfgang Frühauf, derzeit Vertreter des Bürgermeisters der 8.500-Einwohner-Stadt. Anfang des Jahres ging Dr. Thomas Winkelmann in den Ruhestand - vergebens hatte er nach einem Nachfolger gesucht. "Jetzt gibt es nur noch dreieinhalb Hausärzte", so Frühauf. Eine Ärztin komme für einige Stunden aus Witzenhausen nach Bad Sooden-Allendorf.
Aufnahmestopps für Neupatienten
Viele in Bad Sooden-Allendorf stehen deshalb derzeit ohne Hausarzt da, da es Aufnahmestopps gebe. "Auch ich bin betroffen", so Frühauf, der hauptberuflich eine Buchhandlung betreibt. Manche fahren nach Heiligenstadt in Thüringen, erzählen im seine Kunden. "Das sind 35 Minuten Fahrt - um zum Hausarzt zu kommen, dabei braucht es doch eine nahe Versorgung." Immerhin: Die Stadt hat jetzt reagiert. Das Parlament hat kürzlich einen Investitionskostenzuschuss in Höhe von 50.000 Euro genehmigt, finanziert aus der Stadtkasse. Gemeldet hat sich aber trotz der Bonus-Zahlung noch niemand.
Werra-Meißner-Kreis gibt Landarzt-Stipendien
Besser sieht es da bei einem Projekt vom Werra-Meißner-Kreis aus. Der vergibt seit dem vergangenen Jahr jedes Jahr ein Studien-Stipendium für angehende Ärzte, die sich verpflichten, nach dem Studium im Kreis zu arbeiten. "Das Projekt ist erfolgreich angelaufen, wir haben eine Stipendiatin gefunden", sagte ein Kreissprecher zu FFH. 90.000 Euro zahlt der Kreis und übernimmt damit die kompletten Studienkosten - das Studium findet teilweise in Southhampton (England) statt.
Landarzt Dr. Kircher in FFH Guten Morgen, Hessen
Praxen müssen den Mangel auffangen
Den Ärztemangel merken Patientinnen und Patienten auch im Büdinger Land in der Wetterau, wo zum Jahresende erst wieder eine Praxis geschlossen hat. Für die übrig gebliebenen Ärztinnen und Ärzte bedeutet das erhebliche Mehrarbeit, für Patientinnen und Patienten unter Umständen eingeschränkte Services, sagt uns Hausärztin Beate Schneider am FFH-Mikro. Sie berichtet uns von deutlich mehr Anrufen in diesen Tagen. Die Leute gehen auf die Suche nach einer neuen Praxis und hoffen bei ihr auf freie Plätze.
"Projekt "Landpartie 2.0" der Uni Frankfurt und der Kreise Fulda, Bergstraße und Hochtaunus
Um mehr Medizinstudentinnen und -studenten für den Beruf des Landarztes zu begeistern, hat die Uni Frankfurt zusammen mit den Landkreisen Fulda, Bergstraße und Hochtaunus das Projekt "Landpartie 2.0" ins Leben gerufen. Studierende können sich bei diesem Projekt für Praktika in Landarztpraxen bewerben und so mehrere Wochen ganz praktisch erfahren, was es heißt, Arzt auf dem Land zu sein.
Kircher: "Es gibt Vorurteile gegen den Beruf des Landarztes"
Dr. Florian Kircher ist Allgemeinmediziner in Gersfeld und macht bei der "Landpartie 2.0" mit. "Ich finde das Projekt sehr gut, weil es Vorurteile abbaut. Viele Medizinstudentinnen und -studenten denken, der Allgemeinmediziner auf dem Land müsse rund um die Uhr arbeiten, habe keinerlei Freizeit, behandle immer nur Husten, Schnupfen, Heiserkeit und die richtigen Erkrankungen würden dann die Fachärzte behandeln. Aber so ist es natürlich nicht", erzählt Dr. Florian Kircher im Gespräch mit HIT RADIO FFH.
Praktika in Landarztpraxen erweitern Horizont
Bei den Landarzt-Praktika würden die Studierenden selbst mit anpacken, mit auf Hausbesuche fahren und würden erleben, wie abwechslungsreich der Job ist. "Ich hatte schon einige Studenten hier, die wollten eigentlich Augenarzt oder Orthopäde werden - und nach dem Praktikum haben sie gesagt, dass sie jetzt auch Allgemeinmediziner werden wollen", so Dr. Florian Kircher am FFH-Mikro.
Studienreform in Hessen
Abhilfe soll auch die neue Doppel-Vorabquote im Medizinstudium schaffen. Statt des für einige unerreichbaren Notendurchschnitts stehen dabei persönliche und fachspezifische Eignungen im Vordergrund, um die Landarztquote in Hessen zu erhöhen, so die Idee der Hessischen Landesregierung. Die Doppel-Vorabquote richtet sich unter anderem an alle, die Medizin studieren wollen, um anschließend als Hausärztin oder Hausarzt im ländlichen Raum zu arbeiten.
Freie Studienplätze für Landärzte
Von den rund 1.000 Studienplätzen an den hessischen Universitäten in Frankfurt, Gießen und Marburg werden hierfür bis zu 6,5 Prozent für spätere Landärztinnen und Landärzte freigehalten. Die Bewerberinnen und Bewerber verpflichten sich damit nach dem Studium 10 Jahre lang in den ländlichen Regionen als Hausarzt zu praktizieren. Grundsätzlich eine gute Idee, findet Hausärztin Beate Schneider aus Büdingen. Aber sie sagt auch: Das Problem wird damit akut nicht gelöst.
Abbau von bürokratischen Hürden
"Bis das Medizinstudium mit der Facharztausbildung abgeschlossen ist, vergehen mindestens 11 Jahre", so Schneider. "Aber eine ganz schnelle Lösung wird es ohnehin nicht geben." Die Situation tatsächlich kurzfristig verbessern könnte aus der Sicht von Beate Schneider höchstens der Abbau von bürokratischen Hürden. Die Landärztin hat das Gefühl, dass viele angehende Ärztinnen und Ärzte auch durch die wirtschaftlichen Verpflichtungen, die mit einer eigenen Niederlassung einhergehen, abgeschreckt werden.
Bedingungen müssen besser werden
Und Landarzt Kircher ergänzt: Um noch mehr Ärzte aufs Land zu kriegen, brauche es bessere Bedingungen, sagt Dr. Florian Kircher. "Gerade Allgemeinärzte werden zu wenig wertgeschätzt. Sie verdienen auch deutlich weniger als Fachärzte. Das ist ein großes Manko - und die Bürokratie ist einfach zu viel."
Ärztlicher Bereitschaftsdienst große Entlastung
Als große Entlastung empfindet Landarzt Kircher den ärztlichen Bereitschaftsdienst. "Wenn der nicht eingeführt worden wäre, wäre ich kein Landarzt geworden, ganz klar. Und ich denke, dass dann auch viele andere sich gegen den Beruf des Landarztes entschieden hätten. So können wir eben auch mal ein Wochenende frei haben und nachts durchschlafen - und unsere Patienten werden trotzdem gut versorgt."
"Eine sehr erfüllende Tätigkeit"
Nichtsdestotrotz, Beate Schneider kann trotz der aktuell angespannten Situation ihrem Beruf viel positives abgewinnen und wirbt auch bei angehenden Medizinern für die Arbeit auf dem Land: "Es ist sehr schön, Menschen über lange Jahre zu begleiten. Vielleicht ist das einigen auch gar nicht so klar, wie viel positives man da selbst auch draus ziehen kann - gerade auf dem Land, wo doch die Kontakte zu den Menschen häufig sehr, sehr viel enger sind als im städtischen Bereich. Und das ist eine sehr erfüllende Tätigkeit."
Kircher: "Wollte eigentlich auch nicht Landarzt werden"
Kircher selbst wollte erst auch nicht Landarzt werden, sondern an einer Uniklinik arbeiten. Als er dann eine Familie hatte, sehnte er sich aber immer mehr danach, Job und Familie besser vereinen zu können. "Das war in der Großstadt einfach schwierig. Und meine Eltern hatten diese Arztpraxis hier in Gersfeld - und da hab ich mich entschlossen, sie zu übernehmen. Und das habe ich keinen Tag bereut."
Wohnung direkt neben Praxis
Kircher hat sein Wohnhaus direkt neben der Praxis und empfindet das als großen Vorteil. Wenn eins seiner Kinder krank sei, könne er mal eben schnell schauen, seine Frau könnte trotzdem arbeiten gehen. Zum Mittagessen brauche er nur nach nebenan zu gehen.
Weite Wege zu Hausbesuchen als Nachteil
Ein Nachteil am Landarzt-Dasein sind für Kirchner die weiten Wege bei Hausbesuchen. "Bei Landärzten gehören Hausbesuche natürlich dazu - und gerade hier in der Rhön sind die Wege oft weit. Das sind dann schon oft lange Tage", so Kircher am FFH-Mirko.