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> Bahnhofsmission Gießen schließt Ende August: Grund sind Sparmaßnahmen
30.08.2024, 06:40 Uhr
Sparmaßnahmen der Diakonie -
Bahnhofsmission Gießen schließt
© FFH
Aktuell ist das noch der Eingangsbereich der Bahnhofsmission Gießen. Zum September wird die Einrichtung geschlossen.
Sie ist Anlaufstelle für Wohnungslose, Rentner oder einsame Menschen: die Bahnhofsmission in Gießen. Aber jetzt muss sie schließen. Der Grund dafür sind Sparmaßnahmen der Diakonie, des sozialen Dienstes der evangelischen Kirchen.
Am Samstag (31.08.) ist der letzte Tag der Bahnhofsmission. Damit endet eine lange Tradition: Die Bahnhofsmission gibt es in Gießen bereits seit rund 100 Jahren.
Rückgang von Kirchensteuern
"Die Mitgliederentwicklung der Kirche geht ja zurück und somit haben wir auch weniger Einnahmen", begründet Sigrid Unglaub die Schließung der Bahnhofsmission Gießen. Sie leitet die Diakonie in Gießen, welche gemeinsam mit der Caritas die Trägerin der Bahnhofsmission ist. Der Betrieb habe in etwa 100.000 Euro pro Jahr gekostet, wovon etwa 10.000 Euro von der Caritas finanziert worden seien.
Diakonie fiel Entscheidung nicht leicht
Das Ende der Bahnhofsmission in Gießen bedauert Unglaub: "Das ist ein schmerzhafter Einschnitt. In erster Linie natürlich für die Gäste der Bahnhofsmission, aber auch für die langjährig engagierten Ehrenamtlichen". Die Diakonie habe unter anderem mit der Stadt, der Caritas sowie auf regionaler und überregionaler Ebene Gespräche geführt. Es gebe aber am Ende keine konkreten finanziellen Zusagen in ausreichendem Umfang für eine Weiterführung.
Diakonie Gießen: Keine wirklichen Alternativen
Die Leiterin der Diakonie in Gießen, Sigrid Unglaub, erklärt, dass der Weiterbetrieb der Bahnhofsmission die Schließung anderer Einrichtungen zu Folge gehabt hätte.
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Wir könnten natürlich, wir bekommen ja Kirchensteuer als Diakonie Gießen, wir könnten die natürlich für die Bahnhofsmission einsetzen. Aber das würde bedeuten, dass wir drei bis vier bis fünf andere soziale Einrichtungen schließen müssten, die anteilig aus diesen Kirchensteuermitteln finanziert sind. Das heißt, es ist ein Abwägen.
Ende einer Anlaufstelle für alle Menschen
Nach Angaben mehrerer Ehrenamtlicher besuchen täglich etwa 60 Menschen die Bahnhofsmission in Gießen. Darunter seien neben wohnungslosen, suchtkranken oder einsamen Menschen auch regelmäßig Reisende, die beispielsweise ein Pflaster oder Unterstützung beim Umstieg benötigen. Die Gäste können sich an Tische setzen und bekommen freundliche Worte, ein warmes Getränk und etwas zum Essen. Es handle sich um ein wichtiges, niederschwelliges Angebot, das jetzt wegfällt.
Diakonie: Weitere Angebote in Gießen
Die Diakonie erklärt, dass es in Gießen weiterhin mehrere Angebote gibt: Die Wohnungslosenhilfe "Die Brücke", "die Oase" als Hilfeeinrichtung für in Trägerschaft der Mission Leben sowie die "Werkstattkirche" für sozial benachteiligte Menschen. Laut den Ehrenamtlichen können die Angebote die Arbeit der Bahnhofsmission jedoch nicht ersetzen.
Ehrenamtliche: "Es wird ein großes Loch entstehen"
Latoya Porada, Ehrenamtliche bei Bahnhofsmission Gießen, über Folgen für viele Menschen nach der Schließung.
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Wir haben so viele Menschen, die wirklich Hilfe brauchen, gerade ältere Menschen. Wir haben viele Menschen, die weinen, die wir dann auffangen müssen. Viele Menschen, die wohnungslos sind, wo wir dann einfach mal anrufen müssen in irgendwelchen Unterkünften. Wir brauchen ein Zimmer. Das sind Sachen, die wir alles machen. Und das sind Sachen, die hier alles nachher fehlen. Es wird ein großes Loch entstehen, wenn die Bahnhofsmission schließt, ein Riesenloch. Es gibt viele Menschen, die überhaupt gar nicht mehr fähig sind, irgendwo anders hinzugehen wie zur Brücke oder Sonstiges, die dann wirklich hier stranden oder gar nichts mehr haben. Und viele Menschen, die wirklich vereinsamen werden, wirklich vereinsamen, die keine Gespräche mehr haben, denn dafür sind auch wir da. Wir sind aber auch dafür da, Kriseninterventionen durchzuführen. Das heißt, wenn jemand wirklich eine Krise hat, sind wir dafür da, Lösungen für diese Personen zu finden. Und das wird auch fehlen. Im sozialen Sektor wird hier ein großer Bereich kaputt gehen. Und das ist ganz schade. Und das ist das, wo man wirklich drüber nachdenken sollte, ob das wirklich sinnvoll ist. Weil ich denke nicht. Absolut nicht. Die Probleme hier am Bahnhof werden nicht weniger. Ja, definitiv nicht. Es wird nicht aufhören, wenn wir gehen. Im Gegenzug, es wird mehr. Denn wir fangen so viele Menschen täglich auf. Jeden Tag fangen wir diese Menschen auf. Kaffee, was zu essen, Gespräche, was zum Anziehen. Jetzt in der Sommerzeit kühle Getränke, Wasser. Viele Leute kippen um, die kommen dann rein und dann geht es nicht gut. Das sind alles Sachen, die wir auffangen. Irgendwo wird es fehlen hier. Die Bundespolizei wird mehr Arbeit haben.
Ehrenamtlicher: Letzte Bahnhofsmission in Region
Michael Weltsch, Ehrenamtlicher bei der Bahnhofsmission Gießen, kritisiert, dass es jetzt keine Diakonie mehr in ganz Mittelhessen geben wird.
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Ganz schlimm ist für mich auch, dass zwischen Frankfurt und Kassel keine einzige Bahnhofsmission mehr besteht. Es ist also ganz, ganz schlimm. Warburg ist ja auch nicht gerade eine Kleinstadt. Da gibt es auch keine. Und ich habe so das Gefühl, auch bei der Diakonie, dass das Kleine nicht mehr zählt. Das ist aber so in jedem Bereich. Mir kommt das so vor, groß, groß, größer. Aber angeblich sind keine Gelder mehr da. Das nehme ich der Diakonie nicht so ab. Es ist genug Geld da. Und wenn die Diakonie wirklich kein Geld mehr haben sollte, gibt es immer noch die Bundesregierung. Die könnte das locker bezahlen. 80.000 oder 100.000 Euro wäre für die ein Klacks. Also null.
Ehrenamtliche enttäuscht von Diakonie
"Wir sind alle sehr enttäuscht, schockiert und total traurig, dass das hier aufhören soll", sagt Karin Diehl, die seit zehn Jahren zu den Ehrenamtlichen der Gießener Bahnhofsmission zählt. Sie kritisiert, dass die Diakonie den finalen Beschluss gefasst habe, ohne zuvor mit dem Team vor Ort gemeinsam nach Alternativen zu suchen.
Ehrenamtliche: Vor vollendete Tatsachen gesetzt
Karin Diehl, Ehrenamtliche bei der Bahnhofsmission Gießen, über den Moment, in dem die Diakonie das Ende zum September verkündet hat.
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Die Leiterin der Diakonie, die Frau Unklaub, hat uns Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu einer zusätzlichen Dienstbesprechung eingeladen, ohne zu sagen, um was es geht und genau geht. Und da haben wir dann erfahren, dass die Bahnhofsvision geschlossen werden sollte. Und wir waren wirklich sprachlos. Wir waren geschockt. Eine von unseren Mitarbeiterinnen fing sofort an zu weinen. Die hat das so getroffen. Uns hat es alle sehr getroffen. Und weil wir haben mit allem gerechnet, weiß ich nicht was, dass wir die Öffnungszeiten kürzen müssen, um einzusparen, dass die Leiterin vielleicht aus irgendeinem Grund aufhört oder was auch immer, dass die Bahn uns die Räume gekündigt hat oder Sonstiges, aber nicht, dass die Diakonie das schon beschlossen hatte, die Bahnhofsmission zu schließen. Wir wurden vor vollendete Tatsachen gesetzt. Niemand von uns hat vorher irgendwas gewusst oder geahnt. Wir haben uns nicht gewusst.
Diakonie Gießen: Reaktion auf Vorwürfe
Die Leiterin der Diakonie in Gießen, Sigrid Unglaub, erklärt, warum keine Gespräche mit den Ehrenamtlichen vor der Entscheidung der Schließung geführt wurden.
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Also ich glaube, aufgrund dieser finanziellen Einschränkungen waren wir verpflichtet zu entscheiden. Und im Anschluss an die Entscheidung haben ja eine Reihe von Gesprächen stattgefunden. Also das Gesprächsangebot gab es auch an die Ehrenamtlichen, die aber an der Stelle nicht auf mich zugekommen sind. Und wenn die Ehrenamtlichen dann aber sagen, wir hätten gerne davor, bevor diese Entscheidung gefallen ist, mal Gespräche geführt, was würden Sie da antworten? Ich habe die Ehrenamtlichen einfach, sobald es mir möglich war, sie mit ins Boot genommen. Und warum nicht vorher? Warum erst nach der Entscheidung? Weil der Träger die Entscheidung verantworten und treffen muss. Und es war einfach alles sehr kurzfristig, von daher.
Lösungsidee der Ehrenamtlichen
Die Ehrenamtlichen haben der Diakonie den Vorschlag unterbreitet, die Bahnhofsmission künftig ehrenamtlich zu betreiben. Hintergrund: Die Finanzierung einer halben Stelle für die Leiterin sei der entschiedenste Kostenpunkt der jährlichen Ausgaben. Mietkosten fielen keine an, weil der Raum am Bahnhof in Gießen der Bahnhofsmission kostenlos zur Verfügung gestellt wurde.
Diakonie lehnt Idee ab
Die Diakonie hat den Vorschlag abgelehnt. "Ich kann nicht verantworten, dass eine soziale Einrichtung ausschließlich von Ehrenamtlichen geleitet wird. So sind wir nicht aufgestellt. Wir bieten eine professionelle Arbeit an, es muss die Verantwortung für die Abläufe und die Inhalte übernommen werden. Das können wir dem Ehrenamt nicht aufdrücken", sagte Unglaub auf FFH-Nachfrage.
Weitere Kosten befürchtet
Sie erklärte, dass beispielsweise auch die Reinigung des Gebäudes, Fortbildungen für Ehrenamtliche sowie Übungsleiterpauschalen Kosten verursachen. Die Ehrenamtlichen halten diese Begründung für nicht nachvollziehbar.
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Latoya Porada, Michael Weltsch und Karin Diehl gehören zum etwa 18-köpfigen Team der Ehrenamtlichen bei der Bahnhofsmission Gießen.
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Die Bahnhofsmissionen an deutschen Bahnhöfen befinden sich einheitlich immer an Gleis 1.
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Im Empfangsbereich der Bahnhofsmission Gießen werden die Gäste begrüßt.
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Im Aufenthaltsbereich stehen Stühle und Tische bereit.