Nachrichten
>
Mittelhessen
> Gain aus Gießen in der Ukraine: "Jeder hat hier Tote zu beweinen"
19.02.2025, 14:35 Uhr
Gain aus Gießen in der Ukraine -
"Jeder hat hier einen Toten zu beweinen"
© Gain Gießen
Klaus Dewald, der Gründer von Gain rangiert einen Hilfs-Lkw. Er ist auch bei diesem Konvoi in die Ukraine wieder mit dabei.
Die Gießener Hilfsorganisation Gain ist treu: Auch drei Jahre nach Kriegsausbruch fahren regelmäßig Hilfskonvois von Gießen aus in die Ukraine. Gerade sind wieder fünf LKW unterwegs.
Nils Pettkus von Gain sagt zu FFH: "Wir von Gain helfen nicht dem Staat Ukraine. Wir helfen den Menschen, die wir mittlerweile kennen. Derzeit ist die Stimmung schwer, weil keiner weiß, was wird mit den Verhandlungen. Drei Jahre nach Kriegsausbruch kennt hier jeder jemanden, der nicht mehr da ist, der in diesem Krieg gestorben ist und zu Grabe getragen wurde."
Nils Pettkus von Gain über die Situation in Kiew
"Es ist eine lebendige Millionenstadt. Aber nachts gibt es immer Luftangriffe...."
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Kiew ist eine Millionenstadt. Man spürt den Puls der Stadt überall. Die Malls sind offen, Restaurants sind voll. Es ist unglaublich viel los, auch auf den Straßen. Die Stadt hat auch ein Potenzial, da einen wirklich emotional auszusaugen, weil überall sind doch Militär-Checkpoints weiterhin. Überall ist Werbung zu sehen, sich beim Militär oder für diese und jene Brigade zu melden. Am Tag war es sehr schön, sehr klar, es lag Schnee, hell und auch irgendwie heiter. Aber sobald die Sonne untergeht, Luftalarm, geht los und ab da kann man dann, sag ich mal, im Live-Chat mitverfolgen, wohin denn diese Drohnen fliegen. Und von uns aus gesehen konnte man dann auch in der Distanz hören, wie diese Drohnen versucht werden abzuschießen oder man hört auch mal einen Einschlag oder wenn sie halt abgeschossen wird.
Nils Pettkus über die Art der Hilfe durch Gain
"Wir helfen nicht dem Staat Ukraine. Wir helfen den Menschen in Not. Und wir kennen diese Menschen und werden sie nicht im Stich lassen."
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Gain hilft ja nicht der Ukraine, sondern wir helfen den Menschen in der Ukraine, den notleidenden Menschen in der Ukraine. Und unsere Partner und deren Partner oder die Menschen, die wir bei Verteilung oder bei unseren Reisen kennenlernen, die haben ja ganz persönliche Geschichten und Schicksale. Und denen helfen wir. Wir kennen denen ihren Namen. Da kommen diese Fragen, warum hält ihr der Ukraine einem Land, das vielleicht auch irgendwie bekannt ist durch Korruption? Die Frage würde ich immer grundsätzlich viel persönlicher beantworten. Wir helfen einer Vera, einem Andri, wir helfen einem Sascha. Wir kennen die, die haben wir sehr lieb und wir werden nicht aufhören, ihnen zu helfen.
© Gain Gießen
Bilder der Zerstörung aus der Ostkukraine.
© Gain Gießen
Klaus Dewald von Gain übergibt ein Spendenpaket. Es ist wichtig für die Menschen, dass sie nicht vergessen werden.
100 Tonnen Hilfsgüter für die Ukraine
Die fünf Lkw bringen insgesamt rund 100 Tonnen Lebensmittel, Matratzen, Kleidung, Hygienepakete, Waschmittel zunächst Richtung Kiew. Von dort aus werden die Hilfsgüter weiter ins Land bis in die frontnahen Gebiete zum Beispiel in der Ostukraine gebracht. Neben den drei Gain-Lkw sind auch zwei Lastwagen von Speditionen dabei, wie der Spedition Peter Kircher.
Container wird zur Unterkunft für Obdachlose
Nach einem Zwischenstopp im polnischen Katowice sind die LKW am Wochenende in der Region Kiew angekommen. Dabei wurde ein Container komplett abgeladen. Er bleibt in der Ukraine und wird dort zum Wohnraum für Obdachlose.
Nils Pettkus von Gain über die Dauer des Kriege
Zu Beginn des Krieges kannte man Soldaten. Jetzt kennt hier jeder einen, der nicht mehr da ist. Der in diesem Krieg gestorben ist...
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Die persönliche Betroffenheit war natürlich am Anfang, naja, wir sind als gesamtes Volk angegriffen worden, also sind wir auch betroffen. Aber der Kreis oder die Schlinge wurde dann immer enger. Irgendwann hieß es, ja, ich kenne jemanden aus unserem Dorf, aus unserer Stadt, der jetzt dient. Dann irgendwann, ja, ich kenne jemanden über drei Ecken, der ist auch im Krieg gefallen. Und jetzt bei dieser Reise ist es nicht ungewöhnlich, dass wir hören, wir haben Leute in den eigenen Reihen, in unserer Stadt, in unserer Kirchengemeinde, diese Person ist gestorben. Am Samstag hatte einer unserer Partner selbst eine Beerdigung abgehalten. Und da merkte man schon, dass die Stimmung im Raum sehr bedrückt war, zu wissen, dass da ein 22-Jähriger ums Leben gekommen ist, der in den Reihen der ukrainischen Armee gedient hat. Das ist, was es meint, mein Nachbar, mein Schulfreund, mit dem ich groß geworden bin, ist jetzt zu Grabe getragen worden.
Nils Pettkus über die Hilfslieferungen
Die Fahrer bringen die Hilfe von hier aus in die frontnahen Gebiete. Dort sind alle dankbar für jede Hilfe. Und dafür nicht vergessen zu werden.
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Sowohl aus der Westukraine als auch aus der Zentralukraine werden weiterhin Touren in die umkämpften Gebiete gemacht. Dahin fahren unsere Partner auch noch selbst, um Verteilungen zu machen. Es ist unregelmäßiger geworden insgesamt, diese Ware trotzdem an die frontnahen Gebiete zu bringen. Da geht es dann vor allem um unsere Lebensmittelpakete oder auch Hygienepakete, die dort dringend gebraucht werden und herzlich willkommen sind.
Nils Pettkus über die gegenwärtigen Gespräche zwischen Russland und den USA
"Es verletzt die Menschen, dass die Ukraine nicht mit am Tisch sitzt und sie fühlen sich ohnmächtig. Aber natürlich weckt es auch Hoffnung, auf ein Ende des Krieges."
Automatisch erstellte Abschrift des Audios:
Jedes Gespräch, was sich da auf politischer Ebene irgendwie ankündigt wird, das lässt manche Leute aufatmen, aber wir erleben auch, dass viele Leute einfach müde sind von diesen Nachrichten und dem auch kein Glauben schenken und warten einfach mal in einer gewissen Weise ab. Man spürt eine Schwere auf den Menschen, dass vielleicht Gespräche stattfinden zwischen Großmächten und man selber nicht unbedingt an diesen Verhandlungstisch gelassen wird, über den Kopf hinweg entschieden wird. Das ist sehr schmerzlich und verletzt.
© FFH
Nils Pettkus fährt zum wiederholten Mal in die Ukraine. "Wir kennen unsere Partner, die Fahrer und oft die einzelnen Menschen, denen wir Hilfe bringen können. Wir werden sie nicht im Stich lassen."
Stimmung ist zunehmend bedrückt
Fast drei Jahre nach Kriegsbeginn, so berichtet Nils Pettkus im Telefonat aus Kiew mit FFH, wären die Menschen bedrückter. Fast jeder hätte im Umfeld mittlerweile einen Toten zu beklagen. Gleichzeitig sei Kiew weiterhin eine pulsierende Millionenstadt. Nur, dass jede Nacht Luftalarm schrillen würde und Drohnen auf die Stadt flögen, die dann möglichst abgefangen würden.
Ohnmacht angesichts von Verhandlungen der Großmächte
Die beginnenden Verhandlungen über ein mögliches Kriegsende zwischen den USA und Russland würden die Menschen in besondere Spannung versetzen, erzählt Pettkus. Es sei für viele verletzend, dass die Ukraine selbst anscheinend nicht mitbestimmen könne über ihr Schicksal. "Deshalb konzentrieren sich viele hier einfach auf ihren Alltag und warten ab, was passieren wird."
Wo Armut herrscht, bleibt die Bildung auf der Strecke: Jeder gefüllte…