Kurz vor Ende der documenta - Streit um Kunstwerk spitzt sich zu
Auch kurz vor dem Ende ihrer Spielzeit reißt die Diskussion um die documenta in Kassel nicht ab. Nach der jüngsten Kritik wegen als antisemitisch eingeschätzter Kunstwerke auf der Schau sprechen sich nun auch deren Gesellschafter dafür aus, propalästinensische Propagandafilme nicht mehr zu zeigen.
"Die Gesellschafter schließen sich dem Votum der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, wonach die "Tokyo Reels" des Kollektivs Subversive Film nicht mehr gezeigt werden sollen, mindestens bis eine angemessene Kontextualisierung vorgenommen wurde", teilten die Stadt Kassel und das Land Hessen am Dienstag gemeinsam mit. Die aktuelle Kommentierung der Filme sei dazu nicht geeignet, "da sie die teils antisemitischen und terroristische Gewalt verherrlichenden Propagandafilme gerade nicht historisch einordnet".
Umstrittene Propagandafilme
Zuvor hatte das von den Gesellschaftern eingesetzte Expertengremium zur Aufarbeitung der Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta empfohlen, die umstrittenen propalästinensischen Propagandafilme mit Material aus den 1960er- bis 1980er-Jahren vorübergehend nicht mehr zu zeigen. Eine eventuelle Wiederaufnahme der Vorführungen der Filme sei nur denkbar, "wenn diese in einer Form kontextualisiert würden, die ihren Propagandacharakter verdeutlicht, ihre antisemitischen Elemente klar benennt und historische Fehldarstellungen korrigiert".
Ruangrupa weist Forderungen zurück
Die Künstlerische Leitung, das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa, sowie die documenta-Spitze hatten am Montag entsprechende Forderungen zurückgewiesen. Die Geschäftsleitung der documenta und Ruangrupa hätten die Einschätzung des Gremiums zur Kenntnis genommen. Ruangrupa, denen als Künstlerische Leitung der documenta fifteen die alleinige Entscheidung darüber zustehe, wolle der Empfehlung aber nicht nachkommen, hieß es in einer Stellungnahme der documenta für das Berliner Kunstmagazin "Monopol".
Zensur- und Rassismusvorwürfe
Ruangrupa warf dem Gremium zudem in einem auch von anderen Künstler-Kollektiven unterzeichneten Brief an den Oberbürgermeister von Kassel und Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta, Christian Geselle (SPD), die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und die hessische Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) den Versuch der Zensur sowie "eine rassistische Tendenz" vor.
Beirat weist Vorwürfe zurück
Der Beirat weist diese Vorwürfe entschieden zurück. Die Äußerungen Ruangrupas bezeichnete dessen Vorsitzende Nicole Deitelhoff gegenüber der Deutschen Presse-Agentur als verstörend. "Dass man unserem Gremium vorwirft, unsere Stellungnahme sei rassistisch oder deutsch-zentriert, ist lächerlich", sagte die Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Fast die Hälfte der Mitglieder des achtköpfigen Gremiums seien nicht einmal deutsche Staatsangehörige.
Kritik vom Antisemitismusbeauftragten
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker kritisierte die Künstlerische Leitung der documenta scharf. "Wer die klare Feststellung des Expertengremiums der documenta einfach abtut und antisemitische und antizionistische Filme weiter zeigt, die noch dazu Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus legitimieren, der handelt selbst antisemitisch", sagte er laut Mitteilung. "Die Weigerung der documenta-Leitung, die Vorführung der antiisraelischen Propaganda-Filme zu stoppen, ist unerträglich und eine Schande." Nach Vorlage des Expertenurteils gebe es keine anderen Worte für dieses Vorgehen als vorsätzlich antisemitisches Handeln.
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