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Gammelfleisch-Skandal: Anklage gegen Ex-Chef von Wilke-Wurst

Nach Gammelfleisch-Skandal - Anklage gegen Ex-Chef von Wilke-Wurst

© dpa

Nach dem Skandal um listerienverseuchten Fleischwaren hat die Staatsanwaltschaft Kassel jetzt Anklage erhoben.

Vor gut drei Jahren hat der Gammel-Fleischskandal bei Wilke-Wurst in ganz Deutschland für Ekel und Entsetzen gesorgt. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Kassel Anklage erhoben. Und zwar gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Fleischfabrik in Twistetal-Berndorf in Nordhessen sowie gegen seine Stellvertreterin und den Produktionsleiter. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem fahrlässige Tötung in elf Fällen vor. Das hat die Behörde jetzt auf FFH-Anfrage mitgeteilt.

Die Angeklagten sollen teils bewusst abgelaufene Ware in Umlauf gebracht haben. Laut Staatsanwaltschaft sind sie für den Tod von elf Menschen zwischen 47 und 86 Jahren verantwortlich. Die Opfer stammen unter anderem aus Bayern, NRW und Niedersachsen, nicht aber aus Hessen. Sie sollen infolge einer Infektion mit Listerien gestorben sein – und zwar nach dem Verzehr von Wilke-Wurst.

Opfer hielten sich alle in stationären Gesundheitseinrichtungen auf

Alle Opfer hielten sich laut Staatsanwaltschaft vor der Erkrankung stationär in einer Gesundheitseinrichtung auf, diese Einrichtungen wurden laut Staatsanwaltschaft von Wilke-Wurst beliefert. Die Opfer verstarben zwischen Januar 2017 und März 2019. Zudem wurde in sieben Fällen Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben. Die Patienten sollen erhebliche Krankheitssymptome aufgrund der Listerieninfektion entwickelt haben. Zu den Betroffenen zählen auch ein 76 Jahre alter Mann und eine 31 Jahre alte Frau aus Hessen.

Über 100 Verstöße gegen Lebensmittelgesetz 

Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Verantwortlichen der Fleisch- und Wurstfabrik zudem Betrug in siebzehn Fällen und Verstoß gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch in 101 Fällen vor. Gegen den damaligen Geschäftsführer und die damalige stellvertretende Geschäftsführerin richtet sich der Anklagevorwurf darüber hinaus wegen vier weiterer Straftaten und zwar der vierfachen versuchten gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen.

Vorwurf: Vergammelte Ware verkauft

Die drei Angeschuldigten stehen konkret in Verdacht, im Zeitraum Oktober 2018 bis Juli 2019 veranlasst zu haben, dass gesperrte, d.h. nicht mehr verkaufsfähige Ware (z. B. weil das Mindesthaltbarkeitsdatum bereits abgelaufen war), durch entsprechende Anweisungen freigegeben und an Kunden unter Vorspiegelung, es handele sich um ordnungsgemäße Ware, veräußert zu haben, um dem Unternehmen entsprechende Einnahmen zu sichern. Im Einzelnen soll es sich um Schweinebraten, Rohwust, Schinken, Cervelatwurst, Presskopf, Bierschinken, Zungenwurst, Salami und Bauchspeck gehandelt haben.

160 Beweismittelordner

Wann der Prozess beginnt, steht noch nicht fest. Eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens dürfte laut Staatsanwaltschaft angesichts des beträchtlichen Umfangs der Ermittlungsakten und rund 160 Beweismittelordner möglicherweise noch gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

Mehr Kontrollen nach Skandal

Der Fall Wilke hat nicht nur die Justiz, sondern auch die Politik beschäftigt - sowohl das Verbraucherschutzministerium von Priska Hinz (Grüne) als auch den für die Kontrollen zuständigen Landkreis Waldeck-Frankenberg. Beide Seiten räumten damals Versäumnisse ein. Es habe Fehler auf allen Ebenen gegeben, sagten Hinz und der damalige Landrat Reinhard Kubat (SPD). Als Reaktion wurden unter anderem neue Stellen geschaffen und die Befugnisse des Landes wurden ausgeweitet. Und das schlägt sich auch in der Häufigkeit der Kontrollen nieder. Wurden im Jahr 2018 noch 885 Kontrollen durchgeführt, waren es im vergangenen Jahr 1.275, so der Landkreis im Februar auf FFH-Anfrage.

Chronik: Von ersten Funden bis zur Anklage

  • Bereits im Jahr 2018 kam es laut Landkreis Waldeck-Frankenberg zu Listerienfunden bei Proben der Firma Wilke. Zur gleichen Zeit stellte das Robert-Koch-Institut Untersuchungen zu einer Häufung von Listeriose-Erkrankungen in Deutschland an. Die Fälle bekommen den Namen "Sigma 1".
  • Im März 2019 wird der Kreis laut eigenen Angaben durch eine Veterinärbehörde in Hamburg auf einen Listerienbefund bei Wilke hingewiesen, den die Firma nicht an die örtlich zuständige Behörde weitergeleitet hat.
  • Am 18. April 2019 wurde der Landkreis durch die Stadt Balingen (Baden-Würtemberg) über einen positiven Listerienfund in einem Wilke-Produkt informiert.
  • Bei einer Kontrolle am 24. April 2019 werden bei Wilke laut Task-Force Lebensmittelsicherheit Listerien nachgewiesen.
  • Der Kreis hat in der Folge zwischen Mai und August 2019 drei unangemeldete Kontrollen bei Wilke vorgenommen. Bei einer unangemeldeten Kontrolle am 28. August 2019 sei die gesamte Betriebsstätte kontrolliert worden. Es seien "gravierende hygienische und bauliche Mängel" festgestellt worden. Die Firma wurde daraufhin beauftragt, die Mängel innerhalb von vier Monaten abzustellen.
  • Am 12. August 2019 wurde das Hessische Verbraucherschutzministerium von den zuständigen Bundesbehörden informiert, dass Produkte der Frima Wilke mit Infektionen durch Listerien (Sigma 1) in Zusammenhang stehen könnten. Am 20. August geht diese Info dann auch an den für die Kontrollen zuständigen Landkreis.
  • Am 27. September informierte das Hessische Verbraucherschutzministerium die zuständigen Behörden vor Ort, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit davon ausgehe, dass die Firma Wilke die Quelle des bundesweiten Ausbruchsgeschehens sei.
  • Am 1. Oktober 2019 wurde Produktionsstopp bei Wilke verhängt.
  • Am 2. Oktober wird der Fall öffentlich, kurz darauf beantragt die Firma ein Insolvenzverfahren.
  • Am 8. Oktober 2019 gibt die Staatsanwaltschaft Kassel bekannt, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Wilke-Geschäftsführer Klaus Rohloff eingeleitet hat.
  • Es folgen monatelange politische Diskussionen. Im Fokus steht dabei insbesondere die Arbeit des Landkreises Waldeck-Frankenberg und des Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von Priska Hinz (Grüne).
  • Ab dem 23. Oktober 2019 werden rund 300 Tonnen Ware von Wilke vernichtet.
  • Im Dezember 2019 droht dutzenden Wilke-Mitarbeitern die Arbeitslosigkeit nach der Insolvenz.
  • Am 21. Januar 2020 wird nach einer FFH-Anfrage bekannt, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auch auf die stellvertretende Geschäftsführerin und den Produktionsleiter bei Wilke ausgeweitet hat.
  • Ab Januar 2020: Das Inventar der Wilke-Wurstfabrik in Twistetal kommt jetzt unter den Hammer. Im Zuge der Insolvenz werden jetzt etwa 1200 Einrichtungsgegenstände und Maschinen bei einer Online-Auktion versteigert
  • Im Dezember 2020 stimmt das Gemeindeparlament in Twistetal dafür, das Wilke-Gelände zu kaufen.
  • Im Sommer 2021 werden Pläne bekannt, wonach auf dem ehemaligen Fabrik-Gelände ein neues Wohn-Viertel entstehen könnte.
  • Im Juli 2021 stimmt das Gemeindeparlament in Twistetal für den Abriss der Fabrik.
  • März 2022: Die Kosten für den Abriss steigen. Rund 7,5 Millionen Euro plant die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt. Ohne weitere Fördermittel ginge es nicht, sagt Bürgermeister Stefan Dittmann (FDP).
  • Im November 2022 werden Pläne bekannt, wonach auf einem Teil des Grundstücks eine neue Grundschule entstehen soll. Das Gemeindeparlament gibt wenig später grünes Licht. Seitdem laufen beim Landkreis die Planungen.
  • Februar 2023: Die Staatsanwaltschaft Kassel teilt auf FFH-Anfrage mit, dass sie im November 2022 Anklage erhoben hat.
  • Derzeit wird das Gebäude etwa von Kabeln und Dämmmaterial befreit. Aber auch der tatsächliche Abriss steht kurz bevor: Die ersten Gebäudeteile könnten schon bald an der Reihe sein, so Bürgermeister Dittmann auf FFH-Anfrage.
Marcel Ruge

Leiter Studio Nordhessen
Marcel Ruge

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