Entgegen dem Leerstand - Mutige Geschäftsleute in Hessen
Immer mehr Leerstand auch in den hessischen Innenstädten: Geschäftsleute geben aus den verschiedensten Gründen auf, Ladenlokale bleiben oft für lange Zeit ohne Leben. Aber es gibt sie noch: Mutige Geschäftsgründer, die es trotz der Widrigkeiten wagen. Wir haben mit ihnen gesprochen.
Corona, Konkurrenz aus dem Internet, fehlende Nachfolger: Die Gründe, warum Geschäfte schließen, sind vielfältig. Aber gerade die Pandemie und ihre Folgen hat viele Inhaber aus dem Ring geworfen. "Die Stimmung ist schon sehr angespannt und kritisch und ich glaube, wir sind noch lange nicht am Ende", sagt Tatjana Steinbrenner, Vizepräsidentin des Handelsverbandes Hessen. Zugleich sieht sie aber die Entwicklung, dass auch viele Geschäftsleute es trotzdem versuchen wollen.
"Vinty Vibes" in Darmstadt
Aber es gibt sie: Mutige Geschäftsleute, die sagen: "Ich mache einen Laden auf!" Zu diesen gehören beispielsweise Mo Wayah und Sagal Elmi. Sie haben in Darmstadt gemeinsam gerade erst ihren Laden "Vinty Vibes" eröffnet. Sie verkaufen Vintage- und Second Hand-Klamotten. Es fing an mit zwei Pop Up-Events, berichten sie. Dort seien sie mit ihren Produkten bei den Kunden gut angekommen. So sei die Idee entstanden, einen Laden zu eröffnen.
Newcomer-Programm hat geholfen
"Es war für uns ein großes Wagnis, ein Geschäft zu eröffnen", erzählt Wayah. "Wir haben von dem Newcomer-Programm der Stadt Darmstadt gehört. Das unterstützt Gründer bei der Miete zum Beispiel und das hat ganz gut geklappt bei uns."
Unser Konzept ist gut
"Wir haben bei den Pop Up-Events gesehen, dass wir eine Kundschaft gewinnen können, die auch treu ist und die sich für Nachhaltigkeit interessiert und die hier auch gerne und regelmäßig wieder reinkommt.
Stadt gemeinsam wieder attraktiver machen
Leerstehende Geschäfte machen eine Stadt unattraktiv für Gäste. Deshalb hofft Sagal Elmi darauf, dass andere es ihnen gleichtun und ebenfalls leerstehende Ladenlokale wieder mit Leben füllen. So kämen auch wieder mehr Menschen in die Innenstädte, die für Umsatz sorgen.
Werbung auf Social Media
"Wir werben auf Instagram und werden das auch bald bei Tik Tok machen, um noch mehr Menschen zu erreichen", erzählt Wayah. Und das sei auch ein wichtiger Punkt, um Erfolg zu haben, sagt Steinbrenner vom Hessischen Handelsverband: "Man muss im Netz präsent sein! Ein kleiner Laden braucht keinen Onlineshop. Eine tolle Social Media-Präsenz ist wesentlich wichtiger."
"Nähtante" in Hofheim
"Ich habe seit vielen Jahren auf Märkten hier in der Umgebung verkauft und danach ist die schöne Ware in meinen Kisten verschwunden und mein großer Traum war es eigentlich schon immer, die Ware in einem Laden zu verkaufen - und jetzt habe ich den Sprung einfach gewagt", erzählt Anke Seelig aus Hofheim im Gespräch mit HIT RADIO FFH.
Selbstgemachte Kinderkleidung aus Bio-Baumwolle
Seelig bietet in ihrem Laden unter anderem Kinderkleidung aus Bio-Baumwolle an. Das sei nicht das, was man von der Stange kauft, "und ich glaube, dass das bei den Kunden gut ankommt."
Zweifel und Bestärkung
"Ich selber habe natürlich immer mal gedacht, ist das jetzt nicht doch eine Nummer zu groß für mich, aber alle haben gesagt, mach das auf jeden Fall. Und deswegen: Wir sind alle davon überzeugt!" Die gelernte Damenschneiderin verkauft bereits seit 2009 selbst genähte Kleidung für Kinder: Pumphosen, Mützen und Schals. Bis jetzt hat sie in ihrem zu Hause in Kriftel genäht und auf Kunsthandwerkermärkten in der Umgebung verkauft.
"Lieben, was man macht"
Seeligs Leidenschaft für das, was sie macht, wird im Gespräch mit HIT RADIO FFH spürbar. Eine gute Voraussetzung für den Erfolg: "Sie müssen das lieben, was Sie machen. Produkte sind austauschbar. Produkte kriegen Sie 24/7 überall. Aber jemandem das passende Produkt zu verkaufen und diesen Mehrwert des Produktes zu übergeben, das kann man nicht lernen, dafür muss man eine Leidenschaft haben", sagt Tatjana Steinbrenner vom Handelsverband Hessen.
Projekt Freiraum in Marburg
Eine besondere Unterstützung erhalten Geschäftsgründer beispielsweise in Marburg. Um Leerstände in der Innenstadt zu vermeiden und mutige Start-Ups zu unterstützen hat die Stadt schon 2019 das Programm "Freiraum" auf den Weg gebracht. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: In der Marburger Innenstadt gibt es heute weniger Leerstände als vor der Corona-Pandemie, gerade mal 2-3 Prozent der Läden, sagt Jan Röllmann, Geschäftsführer des Marburger Stadt-Marketings im Gespräch mit HIT RADIO FFH.
Falsche Vorstellungen der Vermieter
"Wir identifizieren von uns aus leerstehende Geschäfte und kontaktieren die Immobilienbesitzer. Viele haben falsche Vorstellungen über mögliche Geschäfts-Mieten. Aber die sind heute viel niedriger als vor zehn Jahren“, erklärt Röllmann. Außerdem unterstütze Marburg überzeugende Start-Ups, so werde im ersten halben Jahr die Hälfte der Mietkosten übernommen. Die Konzepte sollten etwas Besonderes haben und multi-channel-Konzepte sein, also auch Online-Handel oder auch Workshops und Seminare anbieten.
Nicht mit Amazon konkurrieren
Der erfahrene Stadt-Marketing-Manager sagt: „Versuchen Sie aber nicht mit Amazon zu konkurrieren.“ Besonders interessant in Marburg: Die Stadt mietet leere Geschäfte auch selber an. Dann können sich dort Pop-up-Stores ausbrobieren – oder auch Künstler und Vereine die Räume für einen begrenzten Zeitraum gestalten. „So verhindern wir, dass Leerstände die Nachbargeschäfte mit nach unten ziehen.“
Tatjana Steinbrenner vom Handelsverband Hessen
"Nur die Guten werden überleben"
Tatjana Steinbrenner vom Handelsverband Hessen glaubt daran, dass die Innenstädte trotz der Schwierigkeiten lebendig bleiben. Auf die Frage, wie es ihrer Meinung nach in zehn Jahren aussieht, sagt sie: "Ich glaube, es wird weiterhin dieser Ort sein, wo Sie gerne hingehen, wo Sie Menschen treffen. Wir werden tolle Ladenkonzepte haben, weil sich jeder anstrengen muss: Nur die Guten werden überleben.
Politik ist gefordert
Steinbrenner lobt im Gespräch mit HIT RADIO FFH ausdrücklich das Förderprogramm des Landes Hessen "Zukunft Innenstadt", mit dem die Kommunen in den Coronajahren dabei unterstützt wurden, Lösungsansätze zu entwickeln, um ihre Innenstädte neu zu gestalten. Sie hofft auf die Fortsetzung des Programms und ergänzt, dass Arbeit sich wieder lohnen müsse. Leute kämen gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch, weil es einfacher sei, Unterstützung zu bekommen, als morgens aufzustehen.
"Regulierungswahn ist für mich brutal"
Steinbrenner, die nicht nur Vizepräsidentin des Handelsverbandes Hessen ist, sondern auch Geschäftsführerin des Kaufhauses Ganz in Bensheim, hofft außerdem darauf, dass die strengen Vorgaben und Regularien weniger und einfacher werden: "Ich bin Leiterbeauftragter, ich bin Ersthelfer, ich bin Aufzugsbeauftragter, Brandschutzhelfer - das sind alles Dinge, die neben meinem eigentlichen Job wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nehmen."