Erstes Interview nach Amtszeit - Merkel verteidigt Russland-Politik
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Russland-Politik Deutschlands während ihrer 16-jährigen Amtszeit vehement verteidigt. Eine Entschuldigung für den von vielen als zu nachsichtig gegenüber der Führung in Moskau kritisierte Kurs lehnte sie in ihrem ersten großen Interview seit dem Ausscheiden aus dem Amt ab.
"Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen", sagte Merkel.
Angriff auf Ukraine "ein großer Fehler"
Merkel verurteilte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf. "Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt." Der Angriff sei von Russlands Seite ein großer Fehler. Es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die den Krieg verhindert hätte, sagte Merkel. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sei der Zerfall der Sowjetunion die schlimmste Sache des 20. Jahrhundert gewesen - das habe er ihr gegenüber mehrfach geäußert. Merkel sagte, sie habe entgegnet, für sie sei das ein Glück gewesen.
Härtere Reaktion auf Krim-Annexion
Merkel räumte ein, dass man der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland 2014 zwar härter hätte begegnen können. Man könne aber auch nicht sagen, dass damals nichts gemacht worden sei. Sie verwies auf den Ausschluss Russlands aus der Gruppe führender Industrienationen (G8) und den Beschluss der Nato, dass jedes Land zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben soll. Sie sei nicht "blauäugig" im Umgang mit Russland gewesen.
"Nicht zu wenig versucht"
Es sei so, "dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab es zu wenig versucht", sagte Merkel zu der Frage, inwieweit sie dazu beitragen konnte, eine Eskalation mit Russland zu verhindern. "Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist." Merkel machte aber deutlich, es sei im Interesse Deutschlands, einen "modus vivendi" mit Russland zu finden - so, dass beide Länder koexistieren könnten.
"Volles Vertrauen in Nachfolger Scholz"
Sie habe "volles Vertrauen" in die neue Bundesregierung und ihren Amtsnachfolger Scholz, machte Merkel deutlich. Es seien Menschen am Werk, die keine "Newcomer" seien und die Gegebenheiten kennen würden. Merkel war von 2005 bis Ende 2021 Kanzlerin. Es sei für sie ganz klar, dass es der richtige Zeitpunkt gewesen sei, aufzuhören. Merkel hatte für Aufsehen gesorgt, als sie Scholz während der Koalitionsverhandlungen über die Bildung einer Ampel mit zu einem internationalen Gipfeltreffen genommen hatte.