GEW fordert Sofortmaßnahmen - Deutsche Schulkinder so schlecht wie nie
Schlechtes Zeugnis für die deutschen Schülerinnen und Schüler bei der internationalen Pisa-Studie. Sie haben so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) heute mit.
Die deutschen Schülerinnen und Schüler haben in der internationalen Leistungsstudie Pisa im Jahr 2022 so schlecht abgeschnitten wie noch nie zuvor. Sowohl im Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften handle es sich um die niedrigsten Werte, die für Deutschland jemals im Rahmen von Pisa gemessen wurden. Auch international sei die durchschnittliche Leistung drastisch gesunken, fasste die OECD zusammen. Es ist das erste Pisa-Zeugnis seit der Corona-Pandemie.
"Der wichtigste Punkt ist der Lehrkräftemangel"
Thilo Hartmann, der Hessen-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht Handlungsbedarf. "Ich glaube der wichtigste Punkt ist der Lehrkräftemangel", sagte Hartmann im Interview mit HIT RADIO FFH. "Wir müssen den Lehrkräften wieder die Zeit geben, sich mit den Schülerinnen und Schülern intensiver einzeln auch zu beschäftigen, um auf Besonderheiten eingehen zu können. Da muss man jetzt sofort Maßnahmen ergreifen", so der GEW-Vorsitzende weiter.
Basiskompetenzen fördern
Hartmann fordert, die grundlegenden Kompetenzen der Schülerinnnen und Schüler bereits früher zu stärken. "Wir müssen wieder in der Lage sei, unseren Grundschülerinnen und Grundschülern eine ausreichende Sicherheit zugeben, im Rechnen, im Lesen und im Schreiben", erklärt der Hessen-Chef der GEW.
Chancen nicht für alle Schulkinder
Das Schulsystem halte die Chancen lange nicht für alle Schülerinnen und Schülerbereit. Der Großteil gehe leer aus, sagte Hartmann.
Kultusministerium ist nicht überrascht
Das historisch schlechte Abschneiden der deutschen Schulkinder in der Pisa-Studie ist aus Sicht des hessischen Kultusministeriums "keine Überraschung". Auch andere zugleich erhobene Bildungsstudien seien zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen gekommen, sagte das Kultusministerium in Wiesbaden. Die Pisa-Daten sei unmittelbar nach den langen Corona-Schulschließungen erfasst worden, "die in Deutschland viel einschneidender waren als in anderen Ländern".
Auch Zuwanderung spiele eine Rolle
Hinzu kommt laut dem Kultusministerium eine "durch die Zuwanderung immer heterogener werdende Schülerschaft - sehr oft aus bildungsfernen Familien." In Hessen kämen beispielsweise derzeit jeden Monat aufgrund von Flucht und Zuwanderung 1.000 zusätzliche Kinder und Jugendliche in die Schulen. Das sei eine enorme Belastung und Herausforderung, die trotz der tollen Arbeit der Lehrkräfte nicht immer mit Fördermaßnahmen vollständig aufgefangen und ausgeglichen werden könne.
Verschlechterung vor allem in Mathe
In Mathematik stürzten die deutschen Schülerinnen und Schüler besonders ab. Sie erreichten einen Punktwert von 475, bei der vorherigen Untersuchung, die 2019 veröffentlicht wurde, waren es noch 500. Im Lesen kamen sie auf 480 (2019: 498) und in Naturwissenschaften 492 (2019: 503).
Trend auch international besorgniserregend
In der aktuellen Erhebung liegt Deutschland im internationalen Vergleich in den Bereichen Mathematik und Lesekompetenz dennoch nahe am OECD-Durchschnitt und in Naturwissenschaften über dem OECD-Durchschnitt, doch das ist kein Grund zum Aufatmen. In diesem Zyklus habe es einen noch nie dagewesenen Leistungsabfall gegeben, hieß es in dem Bericht. "Im Vergleich zu 2018 sank die durchschnittliche Leistung in den OECD-Ländern um 10 Punkte im Lesen und fast 15 Punkte in Mathematik." Gleichzeitig gelang es nur sehr wenigen OECD-Staaten zwischen 2018 und 2022 Teile ihrer Ergebnisse zu verbessern, beispielsweise Japan im Lesen und in den Naturwissenschaften sowie Italien, Irland und Lettland in den Naturwissenschaften.
Corona-Pandemie als Ursache
Ursachen für das schlechte Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler sehen die Autorinnen und Autoren der Studie unter anderem in der Corona-Pandemie. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schulschließungen einen negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb hatten. In Deutschland sei der Distanzunterricht weniger mit digitalen Medien und mehr mit Materialien, die an die Jugendlichen geschickt wurden, bestritten worden als im OECD-Durchschnitt.
Frühere Sprachförderung nötig
Ein weiterer möglicher Faktor für die Ergebnisse sind fehlende Sprachkenntnisse. "Ein zentraler Grund ist sicherlich, dass wir es nach wie vor nicht geschafft haben, eine frühe Sprachförderung für alle, die sie benötigen, durchgängig sicherzustellen", sagte die Studienleiterin Doris Lewalter, Bildungsforscherin an der Technischen Universität München und Vorstandsvorsitzende des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien. "Wenn wir Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund haben, können wir nicht davon ausgehen, dass sie die deutsche Bildungssprache schon beherrschen, wenn sie nach Deutschland kommen."
Pisa steht für "Programme for International Student Assessment" und ist die größte internationale Schulleistungsvergleichsstudie. Es werden die Kompetenzen von 15-jährigen Jugendlichen beim Lesen, in der Mathematik und den Naturwissenschaften erfasst. Seit dem Jahr 2000 wird sie alle drei Jahre durchgeführt.
Positive Entwicklung zuletzt umgekehrt
Die erste Vergleichsstudie hatte damals für den "Pisa-Schock" gesorgt: Die deutschen 15-Jährigen schnitten extrem schlecht ab, zudem stand ein beschämend enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen im Pisa-Zeugnis. Die Folge war eine heftige Bildungsdebatte. Danach verbesserten sich die Ergebnisse deutlich, doch in den letzten Pisa-Runden kam es zu einem Abwärtstrend.